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Dialog führen, Interessen stärken

Von Gerhard Mangott

Gastkommentare
Gerhard Mangott ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck. Zuvor war er Russland- und Osteuropa-Referent am Österreichischen Institut für Internationale Politik. Weiters lehrt er regelmäßig an der Diplomatischen Akademie Wien und an der FH des BFI Wien. Foto: privat

Die EU sollte ihre Beziehungen zu Russland überdenken.


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Das Verhältnis zwischen der EU und Russland ist zerrüttet. Misstrauen, Vorbehalte und Dialogabbruch halten nun schon sehr lange an. Die militärische Eskalation der Ukraine-Krise durch Russland ist am stärksten für diesen Zustand verantwortlich. Auf der Seite der EU hat aber eine Reflexion über den möglichen eigenen Anteil an der Entstehung dieser Krise nicht stattgefunden. Die Entfremdung zwischen der EU und Russland hatte längst vor der Ukraine-Krise begonnen. Misstrauen und Vorwürfe sind auf beiden Seiten gewachsen; eine Einigung auf ein neues Rahmendokument für die bilateralen Beziehungen, das den 2007 eigentlich ausgelaufenen Partnerschafts- und Kooperationsvertrag hätte ersetzen sollen, ist viele Jahre erfolglos geblieben.

So sehr auch Ärger und Bestürzung über die militärischen Aktivitäten Russlands in der Ukraine nachvollziehbar waren, waren der Abbruch der Verhandlungen über ein neues bilaterales Rahmendokument und jener der halbjährlichen Treffen zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und der EU-Troika ungeeignete Schritte, um auf die Krise zu reagieren. Sollten denn nicht gerade in Zeiten der Entfremdung und des Misstrauens alle möglichen Kanäle der Kommunikation genützt werden?

Die EU-Mitgliedstaaten haben sich dagegen entschieden, diesen Dialog zu führen. Darüber hinaus wurden wirtschaftliche, finanzielle und militärische Sanktionen gegen Russland beschlossen. Das Ziel der Sanktionen, Russland zu einer Verhaltensänderung zu bewegen, wurde nicht erreicht. Die Bestrafung Russlands hingegen schon: Die makroökonomischen Eckdaten und die Lebensverhältnisse der Menschen haben sich verschlechtert. Das ist eine magere Bilanz; dennoch will die Mehrheit in der EU die Sanktionen fortschreiben. Die Mitgliedstaaten, die dagegen sind, stimmen der Geschlossenheit der EU wegen immer wieder für ihre Verlängerung.

Die schwierige Umsetzungdes Minsker Abkommens

Die Aufhebung der Sanktionen wird an die vollständige Umsetzung des Minsker Abkommens vom 12. Februar 2015 (Minsk II) geknüpft. Dies ist absurd, weil die Umsetzung von zwei Parteien abhängt - von Russland und von der Ukraine. Russland ist zu Recht vorzuwerfen, dass es nicht ausreichend auf die Einhaltung der militärischen Bestimmungen von Minsk II (Waffenruhe, Truppen- und Waffenentflechtung) durch die Separatisten drängt - denn Druckmöglichkeiten hätte Russland genug. Gleichzeitig scheitert die Umsetzung von Minsk II aber auch am Unwillen der ukrainischen Seite, die politischen Auflagen von Minsk II zu erfüllen - eine Verfassungsreform, ein Statusgesetz für die von den Separatisten besetzten Gebiete, ein Amnestiegesetz und ein Wahlgesetz für Kommunalwahlen in den besetzten Gebieten. Daher ist der Ansatz des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier richtig, Fortschritte in der Umsetzung der Bestimmungen von Minsk II mit einer Lockerung der Sanktionen zu beantworten. In der deutschen Bundesregierung, das heißt gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel, konnte er sich damit aber bisher nicht durchsetzen.

Russland-Politik ist stark werte- und nicht interessenorientiert

Russland ist der wichtigste Nachbar der Europäischen Union. Keine engen Beziehungen mit Russland zu haben, ist daher keine Option. Dialog und Vertragsbeziehungen sind nicht nur mit befreundeten Staaten möglich, sondern auch mit Staaten, denen man wenig Vertrauen entgegenbringt und mit denen es ernsthafte Differenzen gibt. Dagegen steht die Tatsache, dass die Russland-Politik der EU bei vielen Staaten stark werte- und nicht interessenorientiert ist. Das ist in den Beziehungen der EU mit vielen anderen Ländern nicht so. Wer die Türkei ernsthaft als Beitrittskandidaten der EU anerkennt, kann nur schwer argumentieren, mit Russland nicht einmal das Gespräch zu suchen.

Eine interessengeleitete Russland-Politik der EU sollte sich daher an folgenden Bausteinen orientieren:

Das Misstrauen gegenüber der russischen Führung ist sicherlich berechtigt. Zu oft waren Lügen Teil der russischen Kommunikation. Das mag auch die erheblichen persönlichen Vorbehalte in den Regierungen von EU-Mitgliedstaaten erklären. An einer Strategie des Dialogs und des Austausches führt aber kein Weg vorbei. Das Verhältnis zu Russland sollte nicht (zu) stark personalisiert werden. Das ist einer interessengeleiteten Strategie abträglich.

Die komplementären ökonomischen Interessen der beiden Akteure sollten genutzt werden, um Erträge zum beidseitigen Vorteil zu erzielen. Russland sieht die EU als den nächstgelegenen, infrastrukturell erschlossenen und lukrativsten Markt für seine Rohstoffexporte, allen voran für Rohöl und Erdgas. Die EU nutzt(e) den russischen Markt erfolgreich für den Export von Agrarerzeugnissen, Maschinen und Elektronik sowie im Anlagenbau.

Die Kooperation sollte überall dort gesucht werden, wo sich die Interessen überlagern. Das gilt für die Beendigung des Bürgerkrieges in Syrien genauso wie für die erfolgreiche Umsetzung des Nuklearabkommens mit dem Iran.

Die Verhandlungen über eine Visa-Liberalisierung sollten wieder aufgenommen werden. Je mehr russische Bürger die Verhältnisse in der EU kennenlernen, desto stärker kann ein Wertetransfer gelingen; es erlaubt den Besuchern, sich ein eigenes Bild über die Europäische Union zu machen. Das könnte auch dazu beitragen, das derzeit sehr negative Image der EU in der russischen Bevölkerung wieder zu verbessern.

Die EU sollte sich von der Illusion verabschieden, sie könnte die inneren Verhältnisse in Russland beeinflussen. Die autoritäre Herrschaftsordnung hat sich als sehr resilient erwiesen. Die Bevölkerung sammelt sich hinter ihrer Führung, verfällt in Apathie oder Resignation. Die Demokratisierung wird die Aufgabe der russischen Bevölkerung sein und allein bei ihr liegen.

Im Hinblick auf die Sanktionen sollte sich eine realistische Benchmark-Orientierung durchsetzen. Die zwar nachvollziehbare, aber ergebnislose Sanktionslinie darf nicht zum Selbstzweck werden; sie zugunsten eines transatlantischen Konsenses weiterzuführen oder gar zu verschärfen, wird einer eigenständischen und selbstbewussten Russland-Politik der EU nicht gerecht.

Eine realistische Russland-Politik wird innerhalb der EU aber zu harten Debatten führen. Polen und die baltischen Staaten sind zu einer pragmatischen Haltung gegenüber Russland nicht bereit. So sehr deren historisch gewachsene Aversionen gegen Russland nachvollziehbar sind, sollten sie dennoch nicht weiterhin so stark die Leitlinie der Russland-Politik der EU bleiben.

Zugleich darf die Russland-Politik der EU auch nicht gutgläubig und zu erwartungsstark werden. Die russische Führung ist außergewöhnlich selbstbewusst und neigt zur Überschätzung der eigenen Möglichkeiten. Ein Dialog wird sicherlich nicht rasch gute Ergebnisse bringen. Das steht dem Beginn eines neuerlichen Dialogverhältnisses aber nicht entgegen. Vertrauen wird nur durch Dialog wiederaufgebaut werden können; sicher nicht durch die Verweigerung des Dialogs.

Der vorliegende Text ist ein Auszug aus dem Buch "25 Ideen für Europa", das im Eigenverlag der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik erscheint. Kostenlose E-Book-Version unter: www.oegfe.at/25ideenfuereuropa