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Diäten und andere Irrtümer

Von Christa Karas

Wissen

Gesundes Essen als Ideologie. | Sinnloser Stress für den Körper. | Sichere Wege zur Orthorexia nervosa. | Wien. Udo Pollmer, seit Jahrzehnten der gewichtigste Aufklärer unter den Ernährungsexperten des deutschen Sprachraums, hat Recht: Im Frühjahr sollten Formate wie etwa Frauenmagazine mit einem Warnhinweis "Abnehmen gefährdet Ihre Gesundheit" versehen werden. Doch so drastisch können die Fehlschläge der Ernährungswissenschaft gar nicht aufgezeigt werden - wie Pollmer dies in einer Reihe von Büchern und zahlreichen Interviews getan hat -, dass der Body Mass Index (BMI) samt allen falschen Tipps zum Abnehmen nicht immer noch sichere Dauerbrenner in den Medien wären.


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Und so lesen wir einmal mehr: "Bei der Nahrung sollte der Genuss von Salz, Zucker, Fleisch zugunsten von Vollkornprodukten, Obst und Gemüse reduziert und täglich zwei bis drei Liter Flüssigkeit getrunken werden. Zu empfehlen ist . . . natriumarmes Mineralwasser." Eine Begründung, warum wir das tun sollten, wird nicht nachgeliefert.

Die Salz-"Ente"

Tatsächlich braucht der Körper nicht nur Flüssigkeit, sondern auch Salz (Natrium), um das Wasser ausscheiden zu können. Kann er das infolge Natriummangels nicht, kann es u. a. gravierenden Folgen sogar zu einer Vergiftung und tödlichen Gehirn- und Lungenödemen kommen - extrem gefährlich für Kleinkinder, lautet doch die gängige Empfehlung, sie möglichst viel natriumarme Fruchtsäfte trinken zu lassen.

Salz ist dabei so etwas wie der "eisenhaltige" Spinat geworden: Eine längst auch von der US-Gesundheitsbehörde eingestandene "Ente", die sie selbst einst ohne jede wissenschaftliche Basis als Warnung verbreitet hatte. Und just so verhält es sich auch mit den sonstigen Empfehlungen.

Der deutschen Jugend

Dabei ahnen die wenigsten Ernährungsberater, "welche Vorbilder sie haben", so Pollmer mit Verweis auf Baldur von Schirach, der - ehe er als Gauleiter von Wien 60.000 jüdische Mitbürger deportieren ließ - als NS-Reichsjugendführer propagierte, was schon vorhin zitiert wurde (Rohkost, Vollkorn, Obst, "natürliche Würzstoffe" etc.). Neben dem Mineralwasser fehlte freilich die "gute Milch" in seinem Gesundheitsappell an die deutsche Jugend, weil die Propaganda ohnehin nur darauf abzielte, "den Kids die miserable Versorgung schmackhaft zu machen". (Pollmer.)

Milch und Brot

Dabei brachte Milch den Menschen, die sie verdauen konnten, einen Überlebensvorteil - bei schlechten Ernten. Bis vor 8000 Jahren fehlte uns diese Fähigkeit allerdings noch - und vielen bis heute: Ein Drittel der Europäer hat infolge eines fehlenden Enzyms eine Laktose-Intoleranz. Doch dies wie auch der Nachweis, dass Milch weder lebenswichtig noch sonderlich gesund ist, ändert etwas an deren Überproduktion - nunmehr mit allen möglichen Zusätzen, die sie "so gesund" machen sollen.

Parallelen dazu finden sich beim Vollkörnigen, das auf Grund seiner gastrointestinalen Unverträglichkeit auf berechtigte Ablehnung stößt. Wie alle Pflanzen wehren sich sämtliche Getreidesorten gegen ihre Fressfeinde (etwa mit Spelzen und Kleie). Doch so, als wäre es nicht der Sinn des Müller- und Bäckerhandwerks, seit Jahrtausenden Getreide eben durch Entfernung seiner Abwehrstoffe für den Menschen verdaulich zu machen, wird der Verzehr alles Vollkörnigen unverdrossen empfohlen.

Pollmer zur Legende, dass Vollkorn nahrhafter als Weißbrot sei: "Weißbrot vermögen wir vollständig in Energie umzusetzen. Bei Vollkornbrot . . . gelangt die Hälfte als unverdauter Brei in den Dickdarm, wo sich Mikroben mit Begeisterung darüber hermachen. Sie bauen die Stärke zu Traubenzucker ab und verarbeiten diesen weiter zu allerlei reizvollen Abgasen und Fuselalkoholen . . ."

Was ist gesund?

Wie definiert man eigentlich, was gesund ist? - Wohl am ehesten in der Form, als es erkennbar nicht schädlich ist. Von daher gibt also keine ungesunden Lebensmittel. Dass die Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky (natürlich nicht nur deshalb) seit ihrem Schweinsbratlsager hohe Sympathiewerte erzielt, hat indes andere Gründe. Das mache sie so "menschlich", lautet das Lob, ganz so, als hätte die Ärztin öffentlich eine (wenn auch lässliche) Sünde gebeichtet.

Doch so weit ist es mittlerweile nicht zuletzt durch Cholesterin-Hysterie und Pharma-Industrie gekommen, dass hochwertige Lebens- und Genussmittel, die uns zum Glück zur Verfügung stehen, verteufelt werden und man sich wundert, wenn noch nicht allen die Lust daran vergangen ist.

Arme Adipöse

Und wie erst müssen alle Adipösen darunter leiden, der Halt- und Maßlosigkeit verdächtig zu sein, weil sich noch nicht einmal bis in die Fachwelt hinein herumgesprochen hat, dass Fettleibigkeit in zunehmdem Maß ein epigenetisches Phänomen ist - oder möglicherweise gar von Adenoviren verursacht wird. Bei Tieren wie etwa Rhesusäffchen kennt man mittlerweile sieben solche Erreger, die das Fettgewebe innerhalb von sechs Monaten nach Infektion um 60 Prozent zunehmen lassen.

Natürlich ist Adipositas auch ein soziales Problem, nämlich als sie bevorzugt die Ärmeren trifft. - Doch wie zum Hohn werden diesen strenge Diäten oder gar teure und, wie sich zeigte, alles andere als harmlose Operationen angeraten.

Glaube versus Logik

Diäten sind der Weisheit letzter Schluss, auch wenn sie kaum je dauerhafte Effekte erzielen. Menschen sind zu verschieden, als dass ihre Körperwerte einer Norm entsprechen könnten. Lebensalter, Geschlecht, Hormone im Lebenszyklus, psychische Verfassungen sowie Stress durch konzentriertes Arbeiten am Bildschirm und bei Neonlicht, der nachweislich den Cortisolspiegel erhöht: Es gibt viele Gründe, warum die meisten das Ziel verfehlen. Warum also zweifeln nur die wenigsten die Norm an?

Doch nach der Sinnhaftigkeit sollte man da ohnehin nie fragen. Hier geht es um Glauben und Ideologie, nicht um Logik. Ursachen laut Pollmer: "Wessen Körperform vom Ideal des Zeitgeistes abweicht, wird mit missionarischem Eifer angehalten, durch Nahrungskarenz wieder ein vollwertiges Mitglied unserer Gesellschaft zu werden. Doch die Mühe ist vergebens. Je mehr Diäten, desto mehr Dicke, desto mehr Angst vor der Esssünde, desto besser laufen die Geschäfte jener, die Abspeckkurse, Schlankheitspillen und das sonstige Sortiment der Ablasshändler anbieten."

<SEITENWECHSEL

Fixiert auf Ernährung

Auch Laufen steht hoch im Kurs und wird vor allem gegen "erhöhte Cholesterinwerte" empfohlen. Allerdings bringt es diesbezüglich ebenso wenig wie eine fettarme Diät, wie eine im "American Journal of Clinical Nutrition" veröffentlichte Zwillingsstudie zeigte. - Cholesterin ist nun einmal ein wichtiger, körpereigener Stoff und nicht so ohne weiteres manipulierbar.

Sehr wohl manipulierbar sind indessen junge Menschen und "Körperbewusste". Bei ihnen stehen Ernährungsratgeber oft zu Beginn einer Essstörungs-Karriere. In der Folge wächst die Zahl der Orthorektiker, also der krankhaft "Gesund"-Esser, die zwanghaft Vitamine und Nährwerte berechnen, sich immer weniger Lebensmittel "erlauben" und eine wahnhafte Angst vor "ungesunder Nahrung" haben. Bulimie (Ess-Brech-Sucht) und Anorexie (Magersucht) kommen hinzu. Derzeit prominentestes Opfer: Mode-Millionen-Erbin Allegra Versace, die bei ihrer Klinikeinlieferung nur noch 32 Kilo wog.

Auch zeitweiliges Fasten bringt nichts. Es suggeriert dem Körper lediglich eine Hungersnot. Damit steigen u. a. die Blutfettwerte und sofort danach werden Kilos als Reserve für die nächste "Hungersnot" gespeichert. Und wenn schon nicht schlank, kann es obendrein süchtig machen.