Zum Hauptinhalt springen

Dichter Nebel

Von Veronika Eschbacher

Politik

Eine Bombenserie erschüttert die Ukraine. Manche werfen Moskau neue Destabilisierung vor, andere glauben an innerukrainische Grabenkämpfe.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Kiew/Wien. Seit Anfang Dezember waren es mindestens sieben Explosionen alleine in Odessa. Weitere kleinere Bombenanschläge wurden in den vergangenen Wochen auch in anderen ukrainischen Städten verübt - sei es in Charkiw, Mariupol oder Kiew. Ziel der Angriffe waren zumeist Organisationen, die die neue Regierung in Kiew unterstützen, seltener Einrichtungen der Sicherheitskräfte oder ukrainische Politiker. Erste Beobachter konstatieren bereits, dass sich für Kiew - neben den umkämpften Regionen im Osten der Ukraine - nun eine zweite Front auftut.

Die neueste Anschlagsserie in Odessa begann Anfang Dezember mit einem Angriff auf das Geschäft "Patriot", das Güter mit ukrainischer Symbolik vertreibt. Eine Woche später zerstörte eine Bombe das Büro der Organisation "Volontär-Hundertschaft", das Freiwillige rekrutiert und Hilfsgüter für die ukrainische Armee sammelt. Mitte Dezember wurde ein Auto in die Luft gesprengt, das vor dem Büro einer weiteren pro-ukrainischen Organisation stand. Nur einen Tag darauf explodierte eine Bombe unter einem fahrenden Güterzug etwas außerhalb der Hafenstadt. Bei diesen Angriffen, die zumeist nachts erfolgten, gab es zwar großen Sachschaden, aber es wurden keine Menschen verletzt.

Politiker kalmieren

Vier Tage nach dem Zug-Vorfall gab es in Odessa eine Explosion in der Segedskaja-Straße, bei der ein Mensch umkam - vermutlich der Bombenbastler selbst, der die Sprengladung offenbar zum in der Nähe gelegenen Büro der "Ukrainischen Patriotischen Aktivisten" bringen wollte. Schließlich wurde in der vergangenen Woche ein weiteres Sammelzentrum zur Unterstützung der ukrainischen Armee in Odessa angegriffen; in der gleichen Nacht eines auch im 200 Kilometer westlicher gelegenen Cherson.

Der bisher folgenschwerste Anschlag erfolgte im November auf eine Bar im ostukrainischen Charkiw. Elf Menschen wurden verletzt. Die Bar, so der Inhaber, sei wohl zum Ziel geworden, weil sie ukrainischen Soldaten wohlgesonnen sei. Aktuell scheint kaum ein Tag zu vergehen, an dem ukrainische Sicherheitsdienste nicht von der Vereitelung von Anschlägen berichten.

Ukrainische Analysten und Lokalpolitiker bemühen sich seither zu betonen, dass die Vorfälle nicht bedeuten, dass die Bevölkerung der betroffenen Städte - sie haben große russische Minderheiten - dazu geneigt sei, sich einer Anti-Kiew-Rebellion, ähnlich der in den abtrünnigen Gebieten im Osten, anzuschließen. Im Gegenteil - ukrainische Offizielle geben sich überzeugt, dass die Angriffe direkt mit Russland in Verbindung zu bringen seien. Markijan Lubkiwskij, Berater des ukrainischen Staatssicherheitsdienstes erklärte gegenüber dem ukrainischen Fernsehsender Hromadske.tv, die Bombenanschläge in Odessa, Cherson oder Charkiw in den vergangenen Wochen hätten das Ziel, die Ukraine zu destabilisieren. Die Angriffe, so Lubkiwskij, könnten zu Russlands Geheimdienst FSB zurückverfolgt werden, zu russischen Spezialeinsatzkräften sowie zu ukrainischen "Verrätern".

Regelmäßig sind auch Spekulationen zu hören, russische Saboteure würden die Krim nutzen, um auf das ukrainische Festland zu reisen und diese Anschläge zu verüben. Mit Sicherheitsproblemen wurde kürzlich auch die Blockade der Verkehrsverbindungen auf die von Russland annektierte Halbinsel begründet. Mit Jahresbeginn hat Kiew den Zugverkehr eingestellt, Autofahrer berichten von stundenlangen Wartezeiten.

Einstufung als "Terrorakte"

Die ukrainische Führung hat praktisch alle Vorfälle als "Terrorakte" eingestuft. Die Untersuchungen führt nun der Geheimdienst. Gleichzeitig wurden die Sicherheitsvorkehrungen in den Städten verstärkt. Bereits Ende Dezember wurden etwa zwei Einheiten der Nationalgarde nach Odessa verlegt und eine "Anti-Terror-Operation" gestartet. Laut Aleksej Melnikow, Militärexperte des Kiewer Think Tanks "Razumkov Center", sind die betroffenen Städte nicht zufällig gewählt. "Odessa, Mariupol, Kiew und Charkiw sind sensible Orte, in denen von Russland unterstützte Kräfte noch eine Möglichkeit sehen, die Situation zu destabilisieren", sagte er gegenüber der "Kyiv Post". Die Angriffe würden zudem die Macht Kiews infrage stellen und nicht zuletzt (die ohnehin raren) Ressourcen der Sicherheitskräfte aus dem Osten abziehen.

Wie weit die Untersuchungen zu den Hintergründen der Anschläge fortgeschritten sind, ist unklar. Das ukrainische Innenministerium verwies auf die lokalen Behörden, die sich aber nicht zuständig sahen, den Ermittlungsstand zu kommentieren. Das Büro des ukrainischen Geheimdienstes in Odessa war nicht erreichbar.

Ukrainer kaum beunruhigt

Die geringe Opferzahl macht manche Beobachter und Ukrainer aber auch stutzig. In dem von den Anschlägen am stärksten betroffenen Odessa sind zwei weitere Erklärungen verbreitet: einerseits, dass die Angriffe überhaupt keinen politischen Hintergrund hätten und es sich alleine um Kämpfe um die Umverteilung von Vermögen in der Stadt handle. Andere wiederum glauben, die örtlichen Behörden selbst würden dahinterstecken, um so unliebsame politische Gegner loszuwerden. Für beide Versionen gibt es die übliche große Zahl von nebulösen Andeutungen von angeblichen Verstrickungen diverser Akteure, die kaum verifizierbar sind.

Groß beunruhigt scheinen die Ukrainer aber noch nicht. "Die Bevölkerung reagiert auf die Berichte, wenn überhaupt, dann sehr lasch, fast apathisch", sagt Andrej, ein Angestellter aus Kiew. Der Krieg im Osten würde weiter alles übertönen. Traurige Nachrichten aus der Region gab es auch am Dienstag wieder: Beim Einschlag einer Granate in einen Bus nahe Wolnowacha südlich von Donezk wurden mindestens elf Menschen getötet. Dabei war die Stimmung nach der Absage des Ukraine-Krisengipfels Montagnacht ohnehin bereits bedrückt.