Eine Studie zur auseinanderklaffenden sozialen Ungleichheit zeigt, wie der Staat gegensteuern könnte.
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Paris/Berlin/Wien. Schwerkraft, Lichtgeschwindigkeit und das Plancksche Wirkungsquantum sind die unverrückbaren Konstanten unseres Universums. Der stetige Anstieg der sozialen und ökonomischen Ungleichheit in den vergangenen Jahrzehnten unterliegt hingegen keinen Naturgesetzen, sondern ist die Folge einer verfehlten Wirtschafts- und Sozialpolitik in weiten Teilen der Welt - zumindest, wenn man den Autoren des jüngsten "Berichts zur weltweiten Ungleichheit" (Internet-Link: http://wid.world) folgt. Der Bericht, der von einer Forschergruppe rund um den französischen Star-Ökonomen Thomas Piketty zusammengestellt wurde, zeigt, dass staatliche Politik ein wirksames Mittel gegen das Auseinanderklaffen der sozialen Schere darstellt.
Das Gefälle zwischen Reich und Arm ist den Erkenntnissen der Ökonomen zufolge in Europa am geringsten. 2016 verfügten dort die oberen zehn Prozent über 37 Prozent der Einkommen, in China waren es 41 Prozent, in den USA und Kanada 47 Prozent, in Indien 55 Prozent und im Nahen Osten sogar 61 Prozent. "Seit 1980 ist die Einkommensungleichheit in Nordamerika, China, Indien und Russland rasant gestiegen. In Europa verlief der Anstieg moderat", schreiben die Autoren der Studie. "In den letzten Jahrzehnten hat die Einkommensungleichheit in fast allen Ländern zugenommen, jedoch mit unterschiedlicher Geschwindigkeit, was darauf hindeutet, dass der Politik bei der Ausprägung der Ungleichheit eine wichtige Rolle zukommt", heißt es in der Studie.
EU und USA: Zwei Welten
In dem Text wird auch auf den unterschiedlichen Verlauf der Ungleichheitsentwicklung zwischen Europa und den USA eingegangen: In den 1980er Jahren war der Grad an sozialer Ungleichheit auf beiden Seiten des Atlantiks ungefähr gleich. Damals entfielen auf die die reichsten 0,1 Prozent der Bevölkerung rund 10 Prozent der Einkommen. In Europa entfallen heute 12 Prozent auf diese wohlhabendsten 0,1 Prozent, in den USA hingegen 20 Prozent.
In den USA klafft die soziale Schere seit den 1980er Jahren immer stärker auseinander, während sie in Europa weniger dramatisch aufgegangen ist. Vor allem zwei Gründe seien für diese unterschiedliche Entwicklung in den beiden Wirtschaftsräumen verantwortlich: In den USA gebe es eine massive Ungleichheit bei den Bildungschancen - dies würde sich direkt in den höchst unterschiedlich ausgeprägten Einkommenserwartungen niederschlagen. Dazu käme dann noch "ein Steuersystem, das trotz eines Anstiegs der Spitzengehälter in den 1980er Jahren und wachsender hoher Kapitaleinkünfte in den 2000er Jahren weniger progressiv ausgestaltet wurde".
Die Steuergesetzgebung, die die Republikaner gerade dem US-Kongress vorgelegt haben, würde diesen Prozess nicht nur verstärken, sondern brächte "eine Turbo-Beschleunigung der sozialen Ungleichheit in den USA", schreiben die Studienautoren in einem Gastkommentar in der britischen Tageszeitung "The Guardian". Diese Steuerreform würde jene, die bereits über Kapital und ererbtes Vermögen verfügen, weiter schonen. "Diese Steuerreform belohnt die Vergangenheit und nicht die Zukunft", so die Experten in ihrer Kritik.
In Kontinentaleuropa hingegen sei die Steuerprogression weniger stark gestiegen, während die Lohnungleichheit durch eine Bildungs- und Lohnpolitik abgefedert wurde, die eher den unteren und mittleren Einkommensgruppen zugutegekommen sei. Welche Rolle hat der "Gender Pay Gap", also die Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern gespielt? "In beiden Regionen hat die Einkommensungleichheit zwischen Männern und Frauen abgenommen, bleibt jedoch besonders stark an der Spitze der Verteilung."
Einen zweiten Grund für das immer stärkere Auseinanderklaffen zwischen Reich und Arm orten die Studienautoren in der immer ungleicheren Verteilung von Kapital in privaten und in öffentlichen Händen. Seit 1980 sei durch Privatisierungswellen immer mehr staatliches und gemeinschaftliches Vermögen in private Hände gewandert. Dadurch habe sich der Spielraum der Regierungen, der Ungleichheit entgegenzuwirken, verringert, so die Studienautoren.