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Alles auf Anfang: Nach weit mehr als tausend Toten, dem Kollabieren der ägyptischen Tourismuswirtschaft, der schleichenden Auflösung des gesellschaftlichen Zusammenhalts sind die Ägypter nun dort, wo sie am Beginn des Arabischen Frühlings waren. Der Tyrann, dessen sie sich mit Hilfe des Militärs entledigt haben, wird aus der Haft entlassen und statt des Machthabers Hosni Mubarak hat nun General Abd al-Fattah as-Sisi die Zügel in der Hand.
Die Revolution, das dämmert wohl vielen Ägyptern in diesen Tagen, hat nirgendwohin geführt, sie erweist sich heute, da ein Gericht die baldige Freilassung Mubaraks angeordnet hat, als 360°-Revolte, bei der ein Land sich einmal im Kreis gedreht hat.
Ähnlich ist es den Europäern und Amerikanern ergangen: Zuerst haben sie für die Revolutionäre die Daumen gehalten, haben dann Druck ausgeübt, damit es zu freien Wahlen kommen kann. Freien Wahlen, die - das lässt sich heute feststellen - viel zu früh erfolgt sind. Denn man hätte wohl den Aufbau robuster, unabhängiger Institutionen vor den demokratischen Akt des Stimmzettelausfüllens stellen müssen. Freilich: Wer hätte es gewagt, sich den ungeduldigen Massen, die eben den alternden Pharao aus dem Palast gejagt haben, in den Weg zu stellen und um Geduld zu bitten. Das zu verlangen, wäre wohl auch illusorisch gewesen.
Und wer erwartet hat, dass der seit Jahrzehnten dauernde Machtkampf zwischen der Muslimbruderschaft und den säkularen Segmenten der Gesellschaft und dem Militär verschwinden wird, wird ebenfalls enttäuscht sein.
Auf die Europäer und die USA warten nun unangenehme Entscheidungen: Kann man tatsächlich mit der neuen (alten?) Führung in Kairo zusammenarbeiten? Einer Führung, in einem arabischen Tian’anmen Demonstranten niederwalzen ließ? Darf Europa seine Werte über Bord werfen, nur weil die weggeputschten Machthaber der Muslimbruderschaft den Regierungen von Berlin bis Rom zu Recht politisch unangenehm und persönlich unsympathisch sind und man hofft, mit den neuen Machthabern besser zurechtzukommen?
Die Revolution frisst ihre Kinder: Die Opfer sind die vielen jungen Demonstrantinnen und Demonstranten vom Tahrir-Platz, die von einem neuen, demokratischen Ägypten geträumt haben. Aus der Traum, alles auf Anfang. Das heutige Ägypten ist weder neu noch demokratisch.