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Das vergnügungsfreudige Wiener Publikum der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert, zumindest jene, die sich's leisten konnten, strömte abends in die Varietés und sogenannten Rauchtheater (rauchen erlaubt) in der Leopoldstadt, wie etwa im Hotel Stephanie in der Taborstraße. Eines der legendärsten, anrüchigsten, komischsten und skurrilsten Unterhaltungstheater war auf diesem Sektor die "Budapester Orpheumgesellschaft". Das Ö1-"Radiokolleg" widmet ihr diese Woche die "Musikviertelstunde" der ein wenig in Vergessenheit geratenen Vergnügungsform (noch heute 9.45 und 22.40 Uhr zu hören) und lässt mit zahlreichen O-Ton- und Musikbeispielen diese Varieté-Stimmung wieder aufleben.
30 Jahre lang, von 1889 bis 1919, spielte die Orpheumgesellschaft an verschiedenen Veranstaltungsorten abends vier Stunden eine Verbindung aus jüdischem Jargon-Theater und Wiener Volkssängertum, gepaart mit Kabarett, Tanz und Unterhaltungsmusik. Heinrich Eisenach, Armin Berg, Paula Walden oder auch Hans Moser waren die Stars des bunten Ensembles, die das Publikum bei Gulaschgeruch, Tellerklappern, Tabakqualm und gefüllten Gläsern zum Lachen brachten. Eine untergegangene Welt stand da wieder auf, die jüdisch geprägte populäre Musik und Tradition des Brettl-Theaters, also der nicht offiziell als Theater anerkannten Bühnen, im Wien der k. u. k. Monarchie. So waren etwa die spritzigen Gstanzl-Melodien in Form von Trommelversen Armin Bergs zu hören oder auch Musik von Lanner, Soupé und Strauß.
Entromantisiert wurde das Thema in dem Beitrag über die Frauen in diesem Genre. Sie mussten sich oft als Wäschermädeln weiterbringen, weil man vom Brettl allein nicht leben konnte, oder den "Männern schön tun", wie das formuliert wurde. Auch der Antisemitismus verschonte das Brettl nicht. Und so kamen die jüdischen Witze, der Witz über das Jüdische bald in ein falsches Fahrwasser.