Die Frage, wie man Familie und Beruf vereint, wird jetzt realistischer angepackt.
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Der 16. Juli war ein guter Tag für Marissa Mayer. Da konnte sie gleich zwei gute Nachrichten über Twitter verkünden. Die eine betraf ihre berufliche Laufbahn: Sie meldete, dass sie Chefin von Yahoo werde. Die nächste freudige Meldung betraf ihr Familienleben: Da überbrachte sie die Botschaft, dass sie schwanger sei. Es dauerte nicht lange, bis Marissa Mayer das Etikett "mächtigste Schwangere Amerikas" umgehängt wurde.
Nun ist es hierzulande allein schon ziemlich unvorstellbar, dass eine im sechsten Monat schwangere Frau einen verantwortungsvollen Chefposten übertragen bekommt. Kein Wunder also, dass Kommentator(inn)en im Netz frohlockten, Yahoo wage ein "großes Experiment in Sachen Feminismus". Mayer freilich hatte der Nachricht über ihre Schwangerschaft gleich pflichtschuldigst nachgeschossen, dass ihr Mutterschutzurlaub nur ein paar Wochen dauern werde und dass sie da auch durcharbeiten werde.
Das muss eine Ausrede sein
Nicht zuletzt mit diesem Ansinnen brachte sie eine ganz neue Facette in eine Debatte, die Frauen in den USA seit etwa einem Monat verstärkt beschäftigt. Angestoßen wurde sie Ende Juni von Anne-Marie Slaughter. Sie leitete zwei Jahre lang den Planungsstab im US-Außenministerium unter Hillary Clinton, bevor sie im Februar 2011 dieses Amt freiwillig niederlegte. Das tat sie, weil sie mehr Zeit mit ihren Söhnen im heiklen Teenageralter verbringen wollte. Im Magazin "The Atlantic" erklärte sie ihr Handeln unter dem Titel "Why Women Still Can’t Have It All". "Alles haben" bedeutet in dem Zusammenhang beruflichen Erfolg und familiäre Zufriedenheit. Mehr Online-Zugriffe konnte noch kein Text dieses Intellektuellen-Hefts verbuchen.
Der Artikel ist nicht so resignativ ausgefallen, wie sein Titel glauben macht. Natürlich macht Slaughter auch ihrem Frust Luft, etwa wenn sie erklärt, dass die Übersetzung von "Er/Sie hat seiner Familie zuliebe gekündigt" in Washington ein Euphemismus dafür ist, dass man gefeuert wurde. Das impliziere, dass es so undenkbar ist, dass jemand seinen Job freiwillig aufgibt und lieber bei seiner Familie ist, dass es eine Ausrede sein muss: "Man kann es entweder ironisch finden oder es kann einen verrückt machen, dass man in Washington an dieser Ansicht festhält - und trotzdem in jeder politischen Kampagne an die Familienwerte appelliert wird." Sie gibt auch zu, dass es ein paar Frauen gibt, die es schaffen, "alles zu haben" - dass seien aber "echte Superfrauen". Die Genies im Zeitmanagement sind: Slaughter erzählt von einer Kollegin, die bei der Mikrowelle immer 1 Minute 11 statt 1 Minute 00 eingibt - weil man drei gleiche Ziffern schneller eingetippt hat.
Aber eigentlich will Slaughter eine Vision mit ihrem Text vermitteln. Denn sie hat das Gefühl, dass sie jungen Frauen eine geschönte Realität vorschwindle, wenn sie ihnen immer noch vormacht, dass sie "alles haben können". Erst müsse sich die Gesellschaft von ein paar liebgewonnenen Überzeugungen verabschieden. Wie jener, dass eine Frau nur den richtigen Partner heiraten müsse, dann klappe das schon mit der Work-Life-Balance.
Das zahlt sich nicht aus
Auch den Mythos vom richtigen Timing der Familiengründung lässt Slaughter nicht so stehen. Sie habe mit 38 Jahren ihr erstes Kind bekommen, nachdem sie ihre (akademische) Karriere erst einmal auf Schiene gebracht hatte - wie viele andere Frauen heutzutage auch. Was sie nicht in ihre Familienplanungsüberlegungen einbezogen hatte, war, dass die großen Karrieresprünge sich dann genau zu jener Zeit anbieten, wenn ihre Kinder in der Pubertät sind. "Und da ist es mindestens so wichtig, als Mutter präsent zu sein, wie in den allerersten Jahren."
Mit einem ihrer Aspekte greift sie eine andere Protagonistin der Debatte an - wenn auch sehr gezügelt. Sheryl Sandberg, Geschäftsführerin von Facebook, hatte vor einiger Zeit mit eher rigiden Ansichten zu dem Thema aufhorchen lassen. Sie rief junge Frauen auf, ambitionierter zu sein. Und sich nicht gleich von Anfang an zurückzulehnen, weil sie ohnehin vorhaben, Kinder zu kriegen. Dann ist es mit der Karriere sowieso Essig - wieso also vorher so viel investieren.
Anne-Marie Slaughter wiederum glaubt nicht, dass die jungen Frauen heutzutage kleinere Träume haben. Sie vermutet, dass die Probleme, die Frauen am Weg nach oben aufhalten, prosaischer sind. Es würde etwa viel helfen, wenn Schulstundenpläne sich an den Arbeitszeiten der Eltern orientieren würden. Slaughter hat in ihrem Artikel tatsächlich konkrete Vorschläge, die sich aus dem Mikrokosmos der US-Führungselite auf eine universellere Frauen-Arbeitswelt umlegen ließen. Sie wünscht sich, dass Arbeiten von zu Hause einen höheren Stellenwert bekommt - mit der Entwicklung der modernen Technologie dürfte das kein großes Problem sein. Außerdem ruft sie Frauen wie Männer dazu auf, im Arbeitsleben öfter von ihren Kindern zu sprechen - um das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass es dieses Leben außerhalb des Berufs auch noch gibt.
Sheryl Sandberg hat übrigens in einem Interview verraten, dass sie jeden Tag um halb sechs das Büro verlässt, um mit ihrer Familie abendessen zu können. Sie hat hinzugefügt, dass es sie viel Überwindung gekostet habe, dies zuzugeben - obwohl sie selbstverständlich nach dem Essen wieder an den Computer zurückkehrt.
Das könnte knapp werden
Obwohl die Debatte, auch von Slaughter zugegeben, eine etwas akademische ist, die die Probleme privilegierter Frauen wälzt, hat sie im Internet eine rege Diskussion ausgelöst. Es ist eine ausgesprochen zivilisierte Auseinandersetzung - und hat wenig zu tun mit Polemiken, die sich noch Sarah Palin im letzten US-Wahlkampf anhören konnte, als sie mit einem wenige Monate alten Kind kandidierte: "Es gibt vielleicht Berufe, wo man einen Blackberry und eine Milchpumpe jonglieren kann, aber als Vizepräsidentin geht das sicher nicht", wurde ihr etwa vorgehalten. Außerdem stellt die eine oder andere Diskutantin sogar die Frage, ob denn Männer jemals "alles" gehabt haben.
So akademisch sie sein mag, so wertvoll ist die Diskussion doch: Sie spricht nicht zuletzt die Frage an, welche Art Führungspersönlichkeiten einer Gesellschaft mehr nützen - solche, die ihr Familienleben opfern, oder solche, die die Karriere für ihre Familie opfern würden? Und ob es nicht besser wäre, die Arbeitswelt so umzustrukturieren, dass Letztere nicht gezwungen sind, klein beizugeben. Ob die Ankündigung Marissa Mayers, nach so kurzer Zeit der Karenz (in den USA ist der Mutterschutzurlaub unbezahlt) in ihren Top-Job zurückzukehren, der größeren Sache dienlich ist, bleibt fraglich. "Lasst uns hoffen, dass sie Unternehmen dazu inspiriert, bessere Möglichkeiten für alle berufstätigen Mütter zu schaffen", twitterte Mia Farrow, selbst Mutter von 13 leiblichen und adoptierten Kindern. Vielleicht kommt es wirklich zu dieser Inspiration - wenn auch nur deswegen, weil Mayer feststellt, dass es so nicht funktionieren wird.