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Am 11. Oktober findet die Gemeinderatswahl in Wien statt. Das Ergebnis ist nicht schwer vorherzusagen: Die SPÖ wird stark verlieren, aber deutlich Nummer eins bleiben. Die FPÖ wird (vielleicht) ein paar Prozentpunkte dazugewinnen, aber deutlich hinter der SPÖ bleiben, die Grünen werden eher gewinnen, die ÖVP wird eher gleichbleiben oder verlieren. Die einzig wichtige Frage wird sich nach der Wahl stellen: Kommt Rot-Grün II oder doch das Retromodell Rot-Schwarz?
Zur Plausibilität meiner nicht rasend gewagten Prognose: Ich habe trotz wiederholter Versuche noch niemanden gefunden, der dagegen gewettet hätte. Schon gar nicht jemanden, der darauf gewettet hätte, dass die FPÖ in Wien die stärkste Partei wird. Zur Erinnerung: Sowohl bei der EU-Wahl 2014 als auch bei der vergangenen Nationalratswahl 2013 war Wien jenes Bundesland, in dem die FPÖ die geringsten Zuwächse aller neun Bundesländer verzeichnete.
Insofern wird der 11. Oktober eine wichtige Wahl (wie natürlich jede) bringen, aber jedenfalls keine umstürzende. Der nächste Wiener Bürgermeister wird Michael Häupl heißen, und dann wird die SPÖ seine/n Nachfolger/in finden.
Ob Rot-Grün oder Rot-Schwarz die Stadt regiert, macht freilich einen großen Unterschied, und es lohnte sich, die Unterschiede von der Wohnbau- über die Integrations- bis zur Bildungspolitik auch in Massenmedien darzustellen. Nur davon liest, hört und sieht man wenig. Fast alle Medien machen aus dieser Wahl "die Schlacht um Wien".
Dieselben, die unter Angstlust vor der FPÖ zittern, werden zu willigen Bütteln genau jener FPÖ, die mangels Inhalten ausschließlich auf Angst und Ressentiment setzt, jedoch - danke Wien! - ohne jegliche Chance ist, in den nächsten fünf Jahren auch nur in die Nähe einer Regierungsbeteiligung zu kommen oder gar den Bürgermeister zu stellen.
Ein weiterer Beitrag zur Politikverdrossenheit
Es ist dieses fatale Prinzip fast aller Medien, gemäß des fatalen medialen Lehrsatzes "first simplify then exaggerate", inhaltliche Vorschläge von Parteien medial zu ignorieren ("Wo is do die G’schicht?"), dann in Leitartikeln deren Absenz weinerlich zu beklagen, aber derbe Sprüche begierig groß aufzublasen ("Haben Sie gehört, was XY gesagt hat, was sagen Sie dazu?") und daraus lustvoll den "brutalen" Kampf um Wien zu inszenieren und somit weiter zur Politikverdrossenheit beizutragen.
Darf ich dazu die ersten Sätze aus Niklas Luhmanns Buch "Die Realität der Massenmedien" zitieren: "Was wir von der Gesellschaft und ihrer Welt wissen, wissen wir fast ausschließlich durch die Massenmedien. Gleichzeitig haben wir jedoch den Verdacht, dass dieses Wissen manipuliert wird."
Massenmedien geben vor, über Politik und Wahlkampf nur zu berichten, in Wirklichkeit konstruieren sie ihn nach ihren Bedürfnissen. Inhaltliche Entwürfe werden tendenziell ausgeblendet oder skandalisiert, personelle Konflikte ins Extreme aufgeblasen - und damit wird der Entdemokratisierung Vorschub geleistet.
PS: Sind es wirklich "die" Medien, also alle? Ich habe von Journalistinnen und Journalisten so oft lesen müssen, wie "korrupt", "unfähig" oder "dumm" "die Politik" ist, dass ich mir einmal, heute, ganz einfach zur persönlichen Seelenhygiene leiste, generalisieren "den Journalismus" zu beschimpfen. Morgen geht’s mir dafür besser.
Zum Autor
Christoph Chorherr ist seit 1997 grüner Gemeinderat und Landtagsabgeordneter in Wien. 1991 bis 1996 war er der erste grüne nicht-amtsführende Stadtrat in Wien, danach grüner Bundessprecher und Klubchef der Wiener Grünen. Er ist außerdem Milizleutnant.