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Die Abwärtsspirale dreht sich immer weiter

Von Bernhard Baumgartner

Analysen

Wie kann es sein, dass hunderte Journalisten, gewissermaßen die johlende Weltpresse, in St. Pölten einfallen, um dem gleich im doppelten Sinne als "Monster-Prozess" angesehenen Verfahren gegen Josef F. zu folgen? Wie kann es sein, dass die Beschaulichkeit Österreichs immer dann, wenn etwas Größeres passiert, durch ausländische Reporterheere gestört wird, die noch dazu kritische Fragen stellen und sich nicht von der Gemütlichkeit à la "Schau ma mal" und "Wer ma schon sehen" abspeisen lassen. | Zugrunde liegen zwei Fakten, die das Medienphänomen erklärbar machen. Zum einen ist man im kleinen Österreich mit Einheitsrundfunk und -magazinen sowie ein paar Zeitungen immer wieder erstaunt, wie viele Medien es eigentlich in anderen Ländern gibt. Und jedes Medium, das Journalismus halbwegs ernst nimmt, reist selbstverständlich zu Weltereignissen, wie es die Causa F. aus den bekannten Gründen nun einmal ist, mit Reportern an. Dass das eine kleine Stadt, wie zunächst Amstetten oder nun St. Pölten an die Grenze des Ausnahmezustandes stürzt, kann man "den Medien" pauschal nicht ankreiden.


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Weiters hat sich auch der Medienmarkt in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren stark verändert. Die Beschaulichkeit vergangener Tage ist dahin, der Konkurrenzdruck ist massiv gestiegen und das äußert sich darin, dass manche Journalisten bereit sind, für die bessere Story locker über die Leichen von Anstand und Ethik steigen.

Denn so verwerflich das scheinen mag - Blätter, die die Amstettner Causa ohne Rücksicht auf Verluste (der Opfer) ausschlachten, verkaufen sich eben besser. Warum? Weil es die Leser verlangen. So werden aber manche Opfer gleich ein weiteres Mal traumatisiert, etwa indem man sie aufspürt, fotografiert und ihnen somit die Chance auf ein (zumindest soweit das die Spätfolgen zulassen) normales Leben nimmt. Während die Opfer leiden, zieht die Meute längst weiter zum nächsten Grauen. Da Medien aufgrund vielfach liberalerer Gesetze auch nicht mit ernsten Konsequenzen rechnen müssen, reicht es, wenn die Mehrerlöse die Geldstrafen übertreffen. Was sie tun.

So gesehen ist es eine gute Nachricht, dass in St. Pölten die Medien von weiten Teilen des Prozesses ausgeschlossen sind. Doch die Logik "Wer nicht dabei ist, kann auch keine schmutzigen Details schreiben" hat zwei Schönheitsfehler. Zum einen gibt es immer noch genug Menschen, die Details kennen und irgendwo sickert immer etwas durch. Zum zweiten entsteht dadurch erneut der Eindruck, dass das Gericht hinter verschlossenen Türen ein Urteil aushandelt. In diesem Balanceakt hat man sich für die Radikal-Variante entschieden. Mit der Kritik wird man leben müssen.