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"Die AfD hat ihren Zenit erreicht"

Von Alexander Dworzak

Politik

Politologe Oskar Niedermayer sieht vor dem Parteitag zwar keine Übernahme durch den "Flügel". Die Rechtsextremen um Björn Höcke erstarken jedoch weiter.


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Mit 78 Jahren will Alexander Gauland etwas kürzertreten. Er hat den Fraktionsvorsitz inne und ist einer der beiden Parteichefs der AfD. Den zweiten Posten soll beim Parteitag am Wochenende der Bundestagsabgeordnete Tino Chrupalla übernehmen. Gaulands Parteitagsregie hintertrieben jedoch gleich mehrere Mandatare, die ebenfalls antreten. Erhalten Chrupalla und der zur Wiederwahl stehende zweite Vorsitzende Jörg Meuthen nicht die Mehrheit, könnte Gauland doch kandidieren. Niemand hält den "gärigen Haufen", so der AfD-Chef über seine Partei, zusammen wie er.

Die rechtsextreme parteiinterne Gruppierung "Der Flügel" lässt Gauland an der langen Leine. Deren Vertreter Björn Höcke und Andreas Kalbitz brachten die AfD bei den Landtagswahlen in Thüringen und Brandenburg jeweils weit über 20 Prozent. In Sachsen schaffte die Partei mit 27,5 Prozent gar das beste Resultat in der Parteigeschichte. Aus dem Freistaat stammt Vorsitzkandidat Chrupalla. Er gehört zwar nicht dem "Flügel" an, ist dort aber wohlgelitten. Seine Wahl sollte auch ein Zugeständnis für die Erfolge im Osten der Bundesrepublik sein.

Zwei Bruchlinien innerhalb der Partei

In der bisherigen Zusammensetzung werde der AfD-Vorstand nicht wiedergewählt, tönte Höcke bereits im Sommer. Es folgte ein öffentlicher Appell von Parteimitgliedern gegen den "exzessiv zur Schau gestellten Personenkult" des Ex-Geschichtslehrers, der unter anderem das Berliner Holocaust-Mahnmal als "Denkmal der Schande" verunglimpft hatte. Eine Gegengruppierung will das "bürgerlich-konservative" Profil schärfen, wie auch ein kürzlich veröffentlichtes internes Papier zeigt - dabei aber nicht auf Provokationen verzichten, "strategisch geplant und gut durchdacht".

Auch Gauland spricht bei jeder Gelegenheit von der "bürgerlichen" AfD. "Ich halte von der Diskussion über Bürgerlichkeit wenig. Mir ist der Begriff zu unscharf", sagt Oskar Niedermayer. Der emeritierte Professor für Politikwissenschaft an der FU Berlin verweist im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" stattdessen auf die wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Bruchlinien in der AfD. "Die Partei war unter ihrem ersten Vorsitzenden Bernd Lucke marktliberal. Diese Strömung vertreten heute der mit Gauland amtierende Parteichef Jörg Meuthen und Co-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel. Daneben gibt es Staatsinterventionisten wie Höcke. Weil sie sich nicht einig sind, musste bereits ein sozialpolitischer Parteitag verschoben werden." Gesellschaftspolitisch klafften die Vorstellungen zwischen rechtskonservativ und völkisch-nationalistisch auseinander.

Der medial omipräsente "Flügel" ist - wie auch die Jugendorganisation der gesamten AfD - vom Verfassungsschutz zum "Verdachtsfall" für Extremismus erklärt worden. Das bedeutet, mit geheimdienstlichen Mitteln dürfen Informationen gesammelt und ausgewertet werden. Der "Flügel" dominiert die AfD mittlerweile in vier Bundesländern: Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Versuche, ihn aus der Partei zu drängen, gebe es kaum noch, zitiert die "Süddeutsche Zeitung" Verfassungsschützer. Auch im Westen fänden "Flügel"-Veranstaltungen immer mehr Zulauf.

Weg mit der "Unvereinbarkeitsliste"

Niedermayer gibt zu bedenken, dass niemand genau wisse, wie stark der "Flügel" an der Parteibasis verankert sei. Und der erfolgsverwöhnte Osten Deutschlands stelle beim Parteitag wesentlich weniger Delegierte. "Der Flügel ist unzweifelhaft stärker geworden, hat aber die AfD noch nicht übernommen, sonst würden sich Höcke oder Kalbitz auf dem Parteitag zur Vorsitzendenwahl stellen", analysiert der Politologe.

Nach Kräften bemühen sich "Flügel"-Vertreter, die Grenzen des Sag- und Tolerierbaren zu verschieben. So wird die Abschaffung der parteiinternen "Unvereinbarkeitsliste" gefordert, ein entsprechender Antrag liegt für den Parteitag vor. Fällt die Regelung, dürften ehemalige und aktive Mitglieder von rund 250 rechtsextremen Gruppierungen, darunter die Identitäre Bewegung und die NPD, in die AfD aufgenommen werden. Bereits in seiner "Erfurter Resolution" 2015 stellte sich der "Flügel" dagegen, "die politische Spannbreite der AfD über Gebühr und ohne Not zu begrenzen" - also sich von Rechtsaußen abzugrenzen.

Die AfD-Anhänger zeigen sich von dieser Diskussion unbeeindruckt. In Umfragen liegt die Partei seit Monaten stabil, derzeit sind es 13 Prozent. Sie legt jedoch nicht zu, konnte auch nicht von der Diskussion um die vielgescholtene CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer profitieren. Ihren Höchststand erreichte die AfD mit 16 Prozent Ende 2015 und Anfang 2016 infolge der Flüchtlingskrise sowie im Sommer vergangenen Jahres, als CDU und CSU über die Migrationspolitik stritten. "Die AfD hat ihren Zenit erreicht", sagt Oskar Niedermayer. "Ihr Markenkern, das Migrationsthema, bleibt aber auf Jahrzehnte erhalten."

In den sozialen Netzwerken bespielt die AfD dieses Feld wie kein anderes. Verbunden wird die Kritik stets mit dem Feindbild der Kanzlerin. So in einem aktuellen Posting, das sich um die wiederholte Abschiebung eines Mannes dreht. Daneben prangt Angela Merkels Kopf, eingerahmt in einem Verbotsschild.

Auf Facebook unangefochten an der Spitze

Wie die FPÖ hat die AfD ihre Kanäle in den Online-Netzwerken frühzeitig auf- und ausgebaut, um die Kritik in unabhängigen Medien zu unterlaufen. Alleine der Auftritt der AfD-Bundespartei auf Facebook gefällt 482.000 Personen. Abgeschlagen folgt auf Rang zwei die Linkspartei mit etwas mehr als 250.000. Dazu kommen die Accounts von Verbänden sowie Abgeordneten und das Teilen von Beiträgen und Botschaften über befreundete Online-Medien.

Der konservativen Union gelingt es kaum, ehemalige Sympathisanten von der AfD zurückzugewinnen. "Dass der Staat 2015 nicht in der Lage war, seine Grenzen zu kontrollieren, hat an einem konservativen Grundverständnis der staatlichen Hauptaufgaben gerüttelt", sagt Niedermayer. Genauso verhält es sich, wenn Asylwerber nicht abgeschoben werden können. "CDU und CSU müssen für die Durchsetzungsfähigkeit des Rechtsstaates sorgen, dann kommt ein Teil der Wähler zurück", so der Politologe.

Dass Migration und Integration für die Bürger nun weniger wichtig als die Klimapolitik ist, muss für die AfD kein Nachteil sein. Sie buhlt um Klimawandelleugner und Skeptiker ob der Kosten und Effizienz der Maßnahmen, während die Union ihre grüne Seite entdeckt. Setzt sich die AfD damit fest, stehen womöglich doch weitere Höhenflüge bevor.