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Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges, der Anfang der 50er Jahre einen seiner Höhepunkte erreichte, und der Loslösung Titos von Moskau, der Stalin hilflos zusehen musste, erschütterte eine ganze Reihe von mit unglaublicher Brutalität geführten Schauprozessen die Satellitenstaaten der UdSSR. Gipfel der Säuberungswelle war der so genannte Slansky-Prozess. Der Ex-Generalsekretär der tschechischen KP wurde dem Kremlherrn Josef Stalin als der Kopf einer antikommunistischen Verschwörung präsentiert und am 3. Dezember 1952 hingerichtet. Alle Punkte der Anklage waren reine Erfindung und stellten den (erfolgreichen) Versuch Stalins dar, seinen Einfluss in den "sozialistischen Bruderstaaten" zu verstärken. Daneben wurde die Kampagne gegen Slansky (geborener Salzmann) von offen antisemitischen Tönen begleitet.
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Mindestens zwei Selbstmordversuche hat der stets Moskau-treue Slansky unternommen, um der Tortur des Schauprozesses zu entgehen; dass sie alle misslangen, brachte seinen Gefängnisärzten hohe Auszeichnungen ein. Denn man brauchte unbedingt einen lebenden Slansky, um den Schauprozess medienwirksam über die Bühne zu bringen und Stalin - besessen vom Gedanken an Verrat - einen Schuldigen präsentieren zu können.
Nach den queren Gedankensprüngen des stets misstrauischen Kremlherrn war Slansky ein "tschechoslowakischer Tito", ein Abtrünniger, "kosmopolitischer" Moskau-Verräter. Nachdem Stalin bereits in den übrigen Ländern des Ostblocks nationale Pendants des aufsässigen Jugoslawen Tito dingfest gemacht hatte und liquidieren ließ, war 1952 die Zeit gekommen, in der CSSR durchzugreifen. Stalin besorgte das allerdings nicht selbst, sondern schickte "Berater" in die Prager Ministerien, die mit Sondervollmachten ausgestattet das Ruder übernahmen.
Langsam aber sicher zog sich das Netz um die angeblichen Verschwörer enger. Zunächst merkten die Opfer allerdings kaum etwas davon, dass gegen sie ermittelt wird. Als Slansky bereits längst als Schuldiger feststand, wurde er noch mit einem der höchsten KP-Orden dekoriert. Im September 1952 verlor er allerdings den Posten des KP-Generalsekretärs und wurde zum stellvertretenden tschechoslowakischen Premier herabgestuft. Dass etwas nicht stimmt, merkten Slansky und seine Mitangeklagten erst allmählich. Etwa als routinemäßige Geburtstags-Glückwünsche aus dem Kreml ausblieben und die Beschattungen durch die Geheimpolizei nicht mehr zu übersehen waren, sich die "alten Parteigenossen" langsam von den zum Tode Geweihten abzuwenden begannen.
Vulgärer Antisemitismus
Stalins tschechoslowakische Opfer - neben Slansky wurden weitere 13 Persönlichkeiten der Parteispitze angeklagt - waren dabei allesamt fanatische Kommunisten. Die meisten hatten in den 30er Jahren in Spanien gegen den faschistischen General Franco gekämpft, viele waren in der NS-Zeit in Hitlers Konzentrationslagern gesessen oder hatten im Widerstand ihr Leben riskiert. Diese Tatsachen wurden im Zuge der Verhöre, die von "Referenten" des Prager Innenministeriums geführt wurden - Regie führten freilich Stalins "Berater" - systematisch in ihr Gegenteil verkehrt. Der von der Säuberung ebenfalls betroffene tschechoslowakische Vize-Außenminister Artur London, hat in seinem Buch "Ich gestehe", den Ablauf der Untersuchungen detailliert beschrieben. Den als Opfer Auserkorenen wurde planmäßig Schlaf und Nahrung entzogen, fallweise wurden sie geschlagen und gefoltert, fallweise verhielten sich die Peiniger zuvorkommend. Alles lief auf das Ziel hinaus, den Angeklagten "freiwillige" Geständnisse zu entlocken. Ihnen wurde unterstellt, von frühester Jugend an "imperialistische Spione, trotzkistische Verräter und Agenten einer titoistischen, zionistischen, bürgerlich-nationalistischen Verschwörung zum Sturz der volksdemokratischen Ordnung" gewesen zu sein. Daneben wurde stets die jüdische Herkunft der zu Verurteilenden betont. Laut Artur London kam es in seiner Haftzeit immer wieder zu vulgär-antisemitischen Übergriffen.
Die Beschuldigten verstanden zunächst die Welt nicht mehr und wiesen die Vorwürfe entschieden von sich. Ihre Angaben mussten einerseits von den verhörenden "Referenten" verdreht werden, ergänzend wurden die Geständnisse gewaltsam erpresst. So berichtet der Angeklagte Artur London, dass er tagelang dem mäßig aufmerksamen Untersuchungsrichter bis zur totalen Erschöpfung seine Lebensgeschichte erzählen musste. Schließlich gab der Delinquent zu, seiner "bourgeoisen" Herkunft wegen nie wirklich Bezug zur Arbeiterklasse gehabt zu haben. Daneben wurden westliche Spione erfunden, wie etwa der Chef einer US-amerikanischen Hilfsorganisation, Noel Field, oder der britische Abgeordnete Konni Zilliacus, in deren Diensten die Angeklagten gestanden haben sollen.
Der Prozess selbst, der im tschechischen Radio übertragen wurde und in der Bevölkerung Angst und Schrecken hervorrief, hatte reinen Showcharakter. Die Angeklagten mussten zuvor ihre Antworten auswendig lernen, die Verteidigung agierte als Assistent der Anklage. Rudolf Slanskys Geständnis klang dann so:
"Ich bekenne mich voll und ganz schuldig. Als einer der exponiertesten Funktionäre der Kommunistischen Partei habe ich das Vertrauen, das mir die Kommunistische Partei gab, das mir das tschechoslowakische Volk gegeben hat, missbraucht. Vor allem gebe ich zu, ein Feind der Kommunistischen Partei und der volksdemokratischen Ordnung gewesen zu sein. Ich habe ein staatsfeindliches Verschwörerzentrum geschaffen, das ich jahrelang geleitet habe. Ich habe mich im Dienst der anglo-amerikanischen Imperialisten betätigt. Wir entfalteten eine feindliche Tätigkeit innerhalb der Kommunistischen Partei, der Wirtschaft, der Außenpolitik und der Armee."
Das Urteil fiel eindeutig aus: Elf der 14 Angeklagten, darunter Slansky, wurden zum Tod verurteilt. Drei der Beschuldigten, darunter Artur London, wurden zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt. Das Verdikt wurde am 3. Dezember 1952 vollstreckt, die Asche Slanskys in der Nähe Prags auf die eisbedeckte Straße verstreut. Im Jahr 1963, zehn Jahre nach Stalins Tod, wurden die Verurteilten rehabilitiert.
"Rubaschow-Syndrom"
Bleibt die Frage: Was bringt einen Menschen wie Slansky, einen machtbewussten kommunistischen Politiker, dazu, völlig aus der Luft gegriffene Anschuldigungen anstandslos zu gestehen. Sicherlich spielten die körperlichen Torturen, eventuell Drogen eine Rolle. Ein wesentlicher Faktor war aber auch das so genannte "Rubaschow-Syndrom", das Arthur Koestler in seinem Bestseller "Sonnenfinsternis" beschrieben hat: Man bringt einen parteitreuen Funktionär dazu, sich aus Einsicht in höhere Notwendigkeiten selber zu opfern. Denn sämtliche Angeklagte waren felsenfest davon überzeugt, dass "die Partei immer recht hat". Also mussten auch die Vorwürfe stimmen. Aus Aufzeichnungen eines Zellengenossen Slanskys geht jedenfalls hervor, dass dieser von seiner Schuld felsenfest überzeugt war: Da er sich klarerweise an seine "Verfehlungen" nicht erinnern konnte, gelangte er zur Einsicht, "unbewusst" gehandelt zu haben.