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Die Affäre Woerth ist ein Rückschlag für Frankreichs Pensionsreform

Von Alexander U. Mathé

Analysen

Wer soll in Frankreich jetzt noch die Pensionsreform durchsetzen? Dem Hauptverantwortlichen, Arbeitsminister Eric Woerth, hat der Skandal um die Milliardärin Liliane Bettencourt schwer zugesetzt. Schon seit Wochen steht er im Verdacht, in korrupte Machenschaften mit dem L’Oréal-Imperium verstrickt zu sein.


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Charismatisch, ehrlich und kompetent, war Woerth die Idealbesetzung für die Bewältigung der Pensionsreform, die - um es euphemistisch auszudrücken - in Frankreich umstritten ist. Dieses Image hat er nun verloren und Präsident Sarkozy kann sich sicher sein, dass sein Arbeitsminister in diesem geschwächten Zustand politisch keinen Meter machen wird.

Im Härtefall sähe sich Woerth in Sachen Pensionsreform mit dem Widerstand der Straße konfrontiert, und dem haben in Frankreich schon gestandene Politiker in der Blüte ihrer Laufbahn ihre Projekte opfern müssen. Zudem hat sich die am Boden zerstörte Linke im letzten halben Jahr wieder zu erholen begonnen. Sie gewann bei den Regionalwahlen und mittlerweile hat auch Ségolène Royal im Streit um die nächste Präsidentschaftskandidatur nachgegeben. Wird das Reformpaket im Herbst dem Parlament präsentiert, ist von den Sozialisten starker Gegendruck zu erwarten.

Sollte Woerth unter diesen Umständen auch nur den Sommer als Arbeitsminister überstehen, würde das an ein Wunder grenzen. Dass er seine Amtszeit zu Ende dienen kann, klingt nach Wahrscheinlichkeit im Lottosechser-Bereich. Denn Sarkozy muss alles daransetzen, diese Reform durchzubekommen.

Im europäischen Vergleich ist die Pensionsreform in Frankreich längst überfällig. In den meisten EU-Mitgliedstaaten liegt das Pensionsantrittsalter seit geraumer Zeit bei 65 Jahren. Und während Deutschland schon alles für eine Erhöhung auf 67 Jahre in die Wege leitet, muss Sarkozy zittern, überhaupt erst die Anhebung von 60 auf 62 Jahre durchzubekommen.

Was ebenfalls gegen Woerth spricht ist, dass er wahrscheinlich das nötige Bauernopfer ist, um einen Schlussstrich unter die Vorwürfe der Korruption und Misswirtschaft zu setzen, mit denen sich die französische Regierung seit Monaten konfrontiert sieht und die zuletzt auch Sarkozy selbst erreicht haben. Der Rücktritt zweier Staatssekretäre vor wenigen Tagen hat jedenfalls noch nichts in diese Richtung bewirkt.

Doch wer sollte im Fall, dass Woerth tatsächlich abdankt, die Aufgabe Pensionsreform übernehmen? Realistisch in Sicht ist derzeit vor allem Premierminister François Fillon, der die Angelegenheit zur Chefsache erklären könnte. Der Umfragenkönig hätte auch das dafür nötige politische Standing. Die Frage ist nur, ob er diesen Husarenritt riskieren will. Ansonsten bliebe nur noch Xavier Bertrand, ein Vorgänger Woerths unter Sarkozy, Experte auf dem Gebiet, aber so kurzfristig einberufen vielleicht zu schwach gegenüber Gewerkschaften.