Zum Hauptinhalt springen

Die aktuelle Energiekrise als Chance

Von Claudia Kettner-Marx

Wirtschaft

Hohe Energiepreise und Energieknappheit könnten Widerstand gegen Projekte in erneuerbare Energieträger reduzieren.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 2 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Die Energiekrise hat 2022 die politische Diskussion in Österreich und Europa dominiert. In Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine stiegen einerseits die Energiepreise in Europa deutlich, insbesondere die Gas- und Strompreise lagen signifikant über den Werten der letzten Jahre; andererseits galt es, die Energieversorgungssicherheit in Anbetracht reduzierter Gaslieferungen aus Russland zu gewährleisten.

Alles Staaten betroffen

Alle EU-Mitgliedsstaaten sind durch die Krise betroffen, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Vor allem Deutschland und Österreich, aber auch einige östliche Mitgliedsstaaten wie Ungarn weisen eine hohe Abhängigkeit von russischem Erdgas auf. Die höheren Preise treffen sowohl die Industrie als auch die Haushalte: Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, erfahren einen Nachteil gegenüber Unternehmen aus jenen Ländern, die nicht von ähnlich hohen Preisen betroffen sind; Haushalte sehen sich mit Wohlstandsverlusten konfrontiert. Besonders hart trifft der Preisanstieg einkommensschwache Haushalte, die einen deutlich höheren Anteil ihres Einkommens für Energie aufwenden als vermögende Haushalte.

Vor diesem Hintergrund sind die Herausforderungen für die Politik komplex. Einerseits sollen die negativen ökonomischen und sozialen Folgen durch die steigenden Energiepreise möglichst gut abgefedert werden, andererseits sollen Preissignale intakt bleiben, um einen Anreiz zum Energiesparen zu setzen. Die EU hat ihren Mitgliedsstaaten bei der Entwicklung der Kompensationsmaßnahmen weitgehend freie Hand gelassen, die umfassende Pakete zur Entlastung von Industrie und Haushalten geschnürt haben. Die mangelnde Koordination der Maßnahmen hat insbesondere in Hinblick auf die Industrie einen Förderwettbewerb ausgelöst, als rezentes Beispiel ist hier der österreichische Energiekostenzuschuss zwei zu nennen, den die Bundesregierung vor Weihnachten als Reaktion auf den deutschen "Doppel-Wumms" verabschiedete.

© getty images / Andriy Onufriyenko

Sowohl bei der Strompreisbremse für Haushalte als auch beim Energiekostenzuschuss profitiert eine breite Mehrheit, Treffsicherheit ist ein untergeordnetes Thema. Die Strompreisbremse deckelt den Preis pro Kilowattstunde bis zu einem Verbrauch von 2.900 kWh/Jahr auf 10 Cent. Dieser Stromverbrauch entspricht laut klimaaktiv-Initiative des Klimaministeriums dem Durchschnittsverbrauch eines Dreipersonenhaushalts (ohne elektrische Warmwasserbereitstellung), wodurch insbesondere bei kleinen Haushalten der Anreiz, Energie einzusparen gering ausfällt. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob der Zuschuss nicht auf untere und mittlere Einkommensgruppen hätte begrenzt werden sollen. Auch der Energiekostenzuschuss für Unternehmen wurde breit ausgerollt, die Betroffenheit der Unternehmen durch die Energiekrise stellt dabei kein zentrales Kriterium dar: Zum einen profitieren auch Branchen, die nicht oder nur teilweise im internationalen Wettbewerb stehen, und erhalten auf allen fünf Förderstufen Unterstützung.

Hohe Kosten

Zum anderen wird auf den ersten beiden Förderstufen (das heißt für Förderungen bis zu vier Millionen Euro) die Energieintensität, ein Maß für die direkte Betroffenheit durch die steigenden Preise, nicht berücksichtigt. Die Entlastungsmaßnahmen sind mit hohen Kosten für die öffentliche Hand verbunden und sollen die betroffenen Unternehmen und Haushalte kurzfristig unterstützen, durch Energiekostenzuschüsse und Preisdeckel werden jedoch keine langfristigen strukturellen Änderungen angestoßen.

Die Emissionsreduktionsziele, die die EU und auch Österreich beschlossen haben, sind nur durch eine umfassende Energiewende erreichbar; auch Versorgungssicherheit kann langfristig nur durch einen Ausstieg aus fossilen Energieträgern erreicht werden. Eine vollständige Umstellung auf erneuerbare Energieträger kann nur gelingen, wenn die Energieeffizienz in allen Bereichen erhöht wird. In der Vergangenheit waren vor allem im Bereich der Energieeffizienz die Verbesserungen unzureichend und lagen deutlich hinter den von der EU gesetzten Zielen zurück. So wurde etwa die Erreichung des Energieeffizienzziels für 2020 nur aufgrund der stark gesunkenen Energienachfrage in der Covid-19-Pandemie erreicht und auch die von den Mitgliedstaaten geplanten nationalen Beiträge für die Erreichung des EU-Einsparungsziels für 2030 waren nicht ausreichend.

Geringe Einsparungen

Auch in der aktuellen Energiekrise kommt Energieeffizienz in Österreich bisher nur ein kleiner Stellenwert zu, die bisher realisierten Energieeinsparungen fallen eher gering aus. So zeigt eine gemeinsame Analyse des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung und der Universität für Bodenkultur, dass die Einsparungen im gesamten Gaskonsum in Österreich temperaturbereinigt derzeit nur bei ungefähr sieben Prozent - und damit deutlich unter dem EU-Zielwert von 15 Prozent - liegen. Die aktuelle Situation sollte als Chance dafür wahrgenommen werden, das von der EU formulierte Prinzip "Energieeffizienz zuerst" auch in Österreich konsequent umzusetzen - in Produktionsprozessen, in Gebäuden und im Verkehr.

Darüber hinaus sollte die aktuellen Energiekrise auch ein Momentum für erneuerbare Energieträger erzeugen, sowohl in der Stromerzeugung als auch im Wärmebereich. Aktuelle Zahlen zum Ausbau von Photovoltaik weisen hier in die richtige Richtung, allerdings handelt es sich dabei um eine wenig umstrittene Technologie. Vielleicht laden die aktuell hohen Energiepreise und die Energieknappheit zu einem Umdenken ein und reduzieren den da und dort immer noch vorherrschenden Widerstand gegen Investitionsprojekte in erneuerbare Energieträger.

Letztendlich wird ein energieautarkes Europa oder Österreich auch bei einer deutlichen Steigerung der Energieeffizienz und einem umfassenden Ausbau erneuerbarer Energieträger eine Utopie bleiben. Insbesondere der Import von "grünem" - also mit erneuerbarer Elektrizität erzeugtem - Wasserstoff wird in einem zukünftigen Energiesystem von Bedeutung sein. Auch hier sollte man Lehren aus der Energiekrise ziehen und auf eine breite Diversifizierung der Importquellen achten.

Zur Person: Claudia Kettner-Marx ist Ökonomin beim Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo.