Österreich weigert sich, eher unbedeutende Kunstwerke an deren rechtmäßige Besitzerin auszuhändigen - eine Spekulation auf den Tod?
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Wenn man mehr als 95 Jahre alt ist, wartet man üblicherweise nicht mehr so besonders gerne darauf, dass man in einer Herzensangelegenheit das bekommt, worauf man Anspruch hat. Über Gebühr warten zu müssen, ist für einen Menschen in diesem Alter aus naheliegenden Gründen keine besonders erstrebenswerte Option.
In genau dieser wenig erquicklichen Situation ist nun die Erbin nach dem Wiener Kunstsammler Karl Mayländer. Die betagte Dame, die in den USA lebt, wartet im 96. Lebensjahr bisher ebenso geduldig wie vergeblich auf die Rückgabe von fünf kunsthistorisch nicht eben rasend bedeutenden Zeichnungen Egon Schieles, die ursprünglich dem im Holocaust zuerst enteigneten und dann ermordeten Sammler gehörten. Heute befinden sich die Blätter in der Sammlung Leopold, die sie freilich nicht herausgeben will. Dabei ist der Anspruch der Erbin auf die Zeichnungen recht gut dokumentiert. Wäre das Leopold-Museum ein Bundesmuseum, hätte sie die Bilder vermutlich schon längst zurückbekommen. Bereits 2010 kam die sogenannte Michalek-Kommission, benannt nach dem ehemaligen Justizminister, die von der damaligen Ministerin Claudia Schmied zur Klärung der offenen Restitutionsfragen rund um die Leopold-Museum-Privatstiftung eingerichtet wurde, zur Rechtsauffassung, dass alle fünf Schiele-Zeichnungen zu restituieren wären, wenn das Kunstrückgabegesetz auf die Leopold-Museum-Privatstiftung anwendbar wäre.
Blöd nur für die Erbin, dass dieses Gesetz rein juristisch eben nicht für das Leopold-Museum gilt, das ja kein Bundesmuseum wie etwa das Kunsthistorische ist - obwohl die Republik letztlich auch im Leopold-Museum realpolitisch das letzte Wort hat, nicht zuletzt auch, weil sie es finanziert. Seit einiger Zeit wird überlegt, auch dieses Museum, wie es logisch wäre, dem Kunstrückgabegesetz zu unterwerfen.
Womit das Ganze letztlich eine politische Angelegenheit ist: Hätte die Republik Österreich beziehungsweise deren Amtsinhaber den politischen Willen, der Erbin die mittelmäßig bedeutenden Blätter zurückzugeben, dann wäre dies an einem Vormittag zu lösen.
Stattdessen beißt die betagte Dame mit ihrer berechtigen Forderung sozusagen auf Schaumgummi. Weder die Bundesregierung noch sonst einer der Verantwortungsträger bestreiten ihren Rechtsanspruch rundheraus, stattdessen verrichtet die Zeit unerbittlich ihr Werk. Es geschieht einfach nichts, jedenfalls nichts Substanzielles, und das seit nunmehr einem Jahrzehnt. Der hässliche Verdacht, hier würde einfach darauf gewartet, der Tod der alten Dame würde das Problem lösen, liegt irgendwie nahe. (Was er übrigens nicht wird: Die Erbin hat in ihrem eigenen Testament mittlerweile verfügt, dass der Kampf um die Bilder auch nach ihrem Ableben weiterzuführen ist.)
"Ich wäre dafür, dass man die Sache in die Länge zieht", gab im Kontext mit Restitutionsleistungen bekanntlich der damalige sozialdemokratische Innenminister Oskar Helmer
in der 132. Ministerratssitzung vom 9. November 1948 zu Protokoll - eine Haltung, die im Jahr 2016 nicht mehr angemessen erscheint.
Heute ist die Dame übrigens genau 95 Jahre und 33 Tage alt. Allzu lange wartet man in diesem Alter nicht mehr so gerne.