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Die alten Vorurteile des Antisemitismus

Von Wolfgang Benz

Gastkommentare
Wolfgang Benz ist Historiker. Er leitete das Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin. Eine Langfassung des Kommentars findet sich im soeben erschienenen Sammelband "Die Zukunft Europas und das Judentum" (Herausgeber: Oskar Deutsch; Böhlau Verlag).

Der "neue Antisemitismus" ist nichts anderes als die alte Judenfeindschaft mit ihren Stereotypen, Legenden, Unterstellungen, Schuldzuweisungen.


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Seit Jahrzehnten werden Auguren nicht müde, eine drastische Zunahme von Judenfeindschaft zu konstatieren. Dank energischer Anstrengungen von Politik, Medien und politischer Bildungsarbeit trifft das aber nicht zu. Trotzdem gehört zur politischen Realität nicht nur Österreichs oder Deutschlands eine Judenfeindschaft im Alltag, die sich hinter vorgehaltener Hand mit Anspielungen und Sottisen Luft macht.

Der "neue Antisemitismus" ist nichts anderes als die alte Judenfeindschaft mit ihren Stereotypen, Legenden, Unterstellungen, Schuldzuweisungen. Während religiös argumentierender Antijudaismus allenfalls eine marginale Rolle spielt, ist Antisemitismus als Vorurteil mit seiner rassistischen Tradition deutlicher spürbar. Ebenso der "sekundäre Antisemitismus", der nicht trotz, sondern wegen Auschwitz Ressentiments gegen Juden nährt, weil sie sich angeblich mithilfe der Erinnerung an den Holocaust bereichern.

Antizionismus ist eine andere Version der Judenfeindschaft. Ihr Kern ist die Verweigerung des Existenzrechts Israels. Hier docken die Antisemiten an, die etwas gegen "die Juden" haben, dies aber nicht öffentlich äußern, weil das dem politischen Comment der demokratischen Gesellschaft widerspricht. Unter dem Deckmantel der "Israel-Kritik" finden sie sich; weil sie aber nicht (oder nicht nur) den Staat Israel und die Handlungen von dessen Regierung meinen, sondern "die Juden" generell, erkennt man sie. Ihr Feindbild sind die Juden als solche, und das charakterisiert den Antisemitismus.

Gegenüber den Sorgen der jüdischen Minderheit, die in Europa auf kontaminiertem Boden lebt, gegenüber einer gefühlten Bedrohung mag die nüchterne Bilanz der Wissenschaft, wenn sie Erfolge des Kampfes gegen Antisemitismus konstatiert, unerheblich, gar unerwünscht sein.

Dass Antisemitismus auch noch im 21. Jahrhundert Konjunktur hat - als politisches Instrument, als private Überzeugung, als unausrottbares Vorurteil -, ist beschämend und beängstigend genug.

Antisemitismus arbeitet mit Assoziationen, ohne deutlich zu werden. Die Chiffren und Codes werden verstanden, wie der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán gerade mit einer 18 Millionen Euro teuren Kampagne bewiesen hat. Budapest war förmlich gepflastert mit Plakaten, die das Konterfei des jüdischen ungarischstämmigen amerikanischen Philanthropen George Soros zeigten, der mit absurden Beschuldigungen als Strippenzieher der Weltverschwörung einer "Hintergrundmacht" denunziert wurde.

Deutlicher musste Orbán nicht werden. "Hintergrundmacht" ist leicht zu übersetzen als "Weltjudentum". Der Verband jüdischer Gemeinden appellierte an Orbán und wurde mit den üblichen Floskeln politischer Heuchelei abgefertigt. Der israelische Botschafter äußerte die Sorge, die Kampagne säe Hass und Angst, ihm fiel allerdings sein Außenministerium in den Rücken und desavouierte ihn, da Soros auch bei der israelischen Regierung nicht beliebt ist und der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu zum Staatsbesuch nach Budapest unterwegs ist.