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Die amerikanische Versicherungsanarchie

Von Heinz Gärtner

Gastkommentare

US-Präsident Barack Obama will das US-Gesundheitssystem erneuern. Das ist auch notwendig, wie ich aus eigenen Erfahrung nach einem Sportunfall weiß. Während meiner mehrjährigen US-Aufenthalte bekam ich den Eindruck, dass die Effizienz tatsächlich von einem am Gewinn und nicht am Patienten orientierten Versicherungssystem behindert wird.


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Das beginnt mit der Wahl einer Versicherung. Damit wählt man bereits auch eine bestimmte Gruppe von Ärzten. Ärzte sind in den USA in Versicherungsnetzwerken zusammengefasst. Jedenfalls ist es falsch anzunehmen, es bestünde in den USA freie Arztwahl. Frei ist nur die Versicherung, Ärzte anzuerkennen oder nicht.

Gelingt das nicht oder hat man keinen ausreichenden Versicherungsschutz, kann man in ein allgemein zugängliches Notfallszentrum gehen. Eine dauerhafte Behandlung ist damit aber nicht verbunden. Man muss dort viele Stunden mit Warten und dem Beantworten von immer denselben Fragen verbringen. Seit wann haben Sie diese Symptome? Sind sie vielleicht auf eine Krankheit zurückzuführen, die Sie schon früher hatten? Natürlich gibt es da auch die Frage nach der Versicherung. Dann begeben sich die Angestellten ans Telefon und besprechen alles mit der Versicherung. Natürlich nur, wen man eine hat.

Ist man versichert, kann es trotzdem oft Wochen dauern, bis alle Leistungen mit der Versicherung geklärt sind. In der Zwischenzeit schicken Arzt und Krankenhaus die Rechnungen. Es empfiehlt sich, diese nicht gleich zu bezahlen. In der Zwischenzeit übernimmt vielleicht doch die Versicherung die Leistungen. Von der Versicherung wird man immer wieder aufgefordert, mit Befunden und Arztbestätigungen zu beweisen, dass die Krankheit nicht schon vor Versicherungsbeginn bestanden hat. Geht alles gut, bleibt meistens doch ein Selbstbehalt übrig.

Mich persönlich verschlug es ins Unfallkrankenhaus in Fresno (Kalifornien). Hier wendete man durchaus viel Zeit für die Diagnose auf, noch viel mehr Zeit aber muss man als Patient aufwenden, um die Bürokratie vor der Operation zu erledigen. Angestellte klären mit der Versicherung jeden einzelnen Schritt der Leistungen. Ganze Armeen von Mitarbeitern tun in den Arztpraxen, Spitälern und Apotheken nichts anderes, als mit den Versicherungen zu verhandeln, was ihre Leistungen waren und wie viel der Selbstbehalt betragen würde. Schließlich will auch das Krankenhaus einen Profit machen.

Nach meinen Erfahrungen sind Behandlungen und Qualifikation der Ärzte in den USA ausgezeichnet. Das Versicherungssystem mit etwa 1500 Unternehmen ist jedoch eine Anarchie, die an den Frühkapitalismus erinnert. Gibt es keinen Profit, dann gibt es auch keine Leistung. Eine Gesundheitsreform muss eine Versicherungsreform sein. Schon in der Verwaltung könnten wohl 30 bis 40 Prozent eingespart werden.

Univ. Prof. Heinz Gärtner ist US-Experte am Österreichischen Institut für Internationale Beziehungen.