Das EZB-Programm ist eine stille Revolution. Es lenkt Unternehmen in Anleihen und private Haushalte in Aktien - wie in den USA üblich.
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Wien. 1100 Milliarden Euro, bei Bedarf auch mehr, wollen die Europäische Zentralbank (EZB) sowie die 19 Euro-Notenbanken für den Kauf von Staats- und Unternehmensanleihen aufwenden. Diese sogenannte "quantitative Lockerung" der Geldpolitik soll die Deflation bekämpfen und das Wachstum in Europa ankurbeln.
Die US-Notenbank Fed exerzierte vor sechs Jahren vor, dass ein solches Programm funktionieren kann. Die Wachstumsraten in den USA liegen inzwischen bei 2 bis 2,5 Prozent, die Arbeitslosigkeit ist deutlich gesunken.
Die EZB kauft also mit frisch gedrucktem Geld Anleihen. Das wird vor allem Südeuropa entlasten, da die zusätzliche Nachfrage nach Anleihen dort die Zinsen purzeln lässt. Italienische und spanische Anleihen fielen noch am Donnerstag auf Rekordtiefs.
Das Anleihekaufprogramm schwemmt Geld in die Banken, und die haben damit zwei Möglichkeiten: Entweder sie legen es bei der EZB an - und müssen dafür Zinsen bezahlen, ein Verlustgeschäft also. Oder sie erhöhen damit ihr Kapital oder kurbeln die Unternehmensfinanzierung an, beides liegt in der Absicht von EZB-Chef Mario Draghi.
Die meisten Finanzexperten geben daher Draghi recht, allen voran US-Wirtschaftsnobelpreisträger wie Robert Shiller oder Michael Spence. Denn die Amerikaner verstehen das Geldschwemme-Instrument gut. In Europa herrscht Skepsis, es bestrafe Universalbanken und begünstige (risikoreichere) Investmentbanken.
Das ist richtig, und genau darin liegt die eigentliche stille Revolution des Draghi-Plans. Anleihen werden bis wenigstens September 2016 recht günstig zu begeben sein. Es ist also zu erwarten, dass die europäischen Unternehmen in nächster Zeit für Investitionen weniger Bankkredite aufnehmen werden, sondern Unternehmensanleihen emittieren. Das ist in den USA gang und gäbe, in der Eurozone dagegen laufen 75 Prozent der Firmenfinanzierung über Kredite.
Für Sparkassen und Raiffeisenbanken, die das klassische europäische Modell praktizieren, hieße das, dass sie auch im Aufschwung weniger Geschäft machen. Bei Krediten wird das Geschäft mit der Zinsspanne gemacht, bei Anleihen dagegen über eine Gebühr für die Vermittlung von Anleihekäufern. Letzteres ist eine Spezialität der Investmentbanken. Nur die Kleinunternehmen, für die solche Anleihen zu aufwendig sind, werden Kredite weiterhin bevorzugen. Für die Industrie hat sich mit dem Draghi-Plan der Wind gedreht.
Als Folge der quantitativen Lockerung dürfte es daher zu einer Amerikanisierung der europäischen Wirtschaft kommen.
Diese Amerikanisierung wird sich auch bei der privaten Vermögensbildung und bei der Pensionsvorsorge fortsetzen. Die EZB klotzte mit dem gestern präsentierten Programm, das viele billige Geld hat die Aktienbörsen schon im Vorfeld beflügelt.
Eines der drängenden europäischen Probleme ist die Absicherung der Pensionssysteme in Zeiten demographischen Wandels. Mit dem Draghi-Plan werden Pensionsmodelle mit Kapitaldeckung Aufwind erhalten, die Risken treten in den Hintergrund.
Es ist daher einigermaßen erstaunlich, dass in der EU sozialdemokratische Politiker für den Draghi-Plan auftreten, während konservative Politiker zurückhaltender sind. Umgekehrt wäre es - den Parteiprogrammen folgend - logischer gewesen. Möglicherweise wird der kurzfristige Effekt schwerwiegender beurteilt. Natürlich verbilligt sich dadurch die Staatsschuld im Süden Europas, die das Geld für Arbeitsmarktprogramme einsetzen können.
Und es verbilligt den Euro (er fiel allein Donnerstag um 1,4 Prozent zum Dollar). Das erhöht die Wettbewerbsfähigkeit beispielsweise der italienischen Industrie erheblich. Am Ende könnte er 1:1 zum Dollar stehen, dann laufen die EU und die USA endgültig parallel. Mit dem Freihandelsabkommen TTIP als Sahnehäubchen der atlantischen Einheit...