Unruhen in Bolivien und Peru, Rückschritte beim Friedensprozess in Kolumbien: Der Region droht Instabilität.
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Das neue Jahr begann mit einem Paukenschlag: Kolumbiens linker Präsident Gustavo Petro hatte mit einem Twitter-Tweet die Öffentlichkeit elektrisiert. Der ehemalige Guerillero kündigte einen Waffenstillstand mit den wichtigsten bewaffneten Gruppen, darunter auch der marxistischen ELN-Guerilla an. Die Freude war ebenso groß wie das Lob von allen Seiten. Doch inzwischen herrscht nach dem Silvesterknaller Katerstimmung.
Denn die ELN-Guerilla wusste nach eigenen Angaben davon nichts, oder zumindest nicht so, wie es Petro verkündete. Inzwischen kommt es noch heftiger. Am Dienstag ließ Petro verlauten, dass ab sofort wieder Militäroperationen gegen die ELN erlaubt seien. Vom gefeierten sechsmonatigen Waffenstillstand zurück zum Krieg in nur wenigen Tagen.
Ein Kommunikationsdebakel
Für Petro ist das ein Kommunikationsdebakel. Das Magazin "Cambio" kritisiert den Präsidenten deshalb scharf: "Der Frieden wird nicht auf Twitter ausgehandelt." Noch ist allerdings nichts verloren. Der Präsident, gerade erst fünf Monate im Amt, wird seine Lektion gelernt haben. Wenn beide Seiten wollen, wird es eine Lösung geben. Es steht allerdings zu befürchten, dass zunächst einmal bei möglichen neuen Kämpfen in den nächsten Tagen vor allem die Zivilbevölkerung leiden wird. Sie hat in Kolumbien schon immer den Preis für Politikversagen bezahlt.
In Peru ist dies bereits der Fall. Nach der Abwahl des mutmaßlich korrupten marxistischen Präsidenten Pedro Castillo vor einigen Wochen ist das Land ein Pulverfass geworden. Castillo hatte versucht, eine Abstimmung über einen Misstrauensantrag gegen ihn zu verhindern, indem er den Kongress unmittelbar davor auflösen wollte. Der billige Taschenspielertrick ging schief, das Parlament wählte Castillo ab. Dessen Nachfolgerin Dina Boluarte, zuvor Vizepräsidentin, ist allerdings auch schon gescheitert. Denn seit Dezember kamen bei Unruhen rund 40 Menschen ums Leben. Beide Seiten - Polizei und Demonstranten - gehen mit brutaler Härte aufeinander los und haben Opfer zu beklagen.
Machtkampf in Bolivien
Das hält auf Dauer keine demokratische Regierung aus. So richtig die Abwahl Castillos durch den Kongress auch war: Der durch die Hintertür eines Misstrauensvotums an die Macht gekommenen Boluarte fehlt die überzeugende demokratische Legitimation für eine Amtszeit, die über die Organisation von Neuwahlen hinaus geht. Mit jedem Toten mehr auf den Straßen Perus wächst die Wahrscheinlichkeit, dass Boluarte bald Castillo (Ermittlungen wegen eines Putschversuchs) in Untersuchungshaft Gesellschaft leisten könnte. Der einzige gangbare Ausweg sind schnelle, transparente und international überwachte Neuwahlen.
Weil sich Boliviens indigener Ex-Präsident Evo Morales nach peruanischer Lesart in die inneren Angelegenheiten des Nachbarlandes einmischte, wurde er nun in Lima zur unerwünschten Person erklärt. Morales wird das verschmerzen können.
Deutlich mehr wird ihn der innerparteiliche Kampf mit seinen Parteifreunden der sozialistischen Regierungspartei MAS und Präsident Luis Arce schmerzen. Die beiden Alphatiere liefern sich hinter den Kulissen und auf offener Bühne einen Machtkampf, der es in sich hat und die Partei vor eine derartige Zerreißprobe stellt, dass auch mal die Stühle fliegen.
Seit 2016 gibt es ein vergiftetes innenpolitisches Klima - alles begann damit, dass Morales eine Wahlniederlage bei einem Referendum über eine Amtszeitbegrenzung nicht akzeptierte und seine eigentlich vom Volk abgelehnte Kandidatur auf juristischem Wege durchsetzte. Es folgten die umstrittenen Wahlen 2019 mit Vorwürfen des Wahlbetrugs. Morales trat zurück, floh und kehrte zurück, nachdem sich bei den von der konservativen Interimspräsidentin Jeannine Anez trotz Pandemie organisierten transparenten Neuwahlen die Sozialisten die Macht nach wenigen Monaten zurückholten.
Landesweite Proteste
Dann steckte man Anez ins Gefängnis. Dorthin soll nun nach Willen der national regierenden Sozialisten auch der vor wenigen Tagen festgenommene rechte Gouverneur Luis Fernando Camacho aus der Oppositionshochburg Santa Cruz. Ihm wird - wie Anez - ein Putschversuch und Aufruf zur Gewalt vorgeworfen. Nun gibt es landesweit Proteste für und gegen Camacho. Das alles wäre wohl nie passiert, hätte Morales - einer der erfolgreichsten lateinamerikanischen Präsidenten dieses Jahrhunderts - die Wahlniederlage 2016 akzeptiert und einem Nachfolger aus den eigenen Reihen Platz gemacht.