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Fusion sicherer und effizienter als Spaltung. | Kernkraftgegner: "Milliardengrab." | Wien/München. Trotz der Reaktorkatstrophe in Fukushima wollen die europäischen Staaten an der Atomkraft festhalten. Doch bereits seit Jahrzehnten wird an einer anderen Form der Kernenergie geforscht, die sicherer und effizienter sein soll als die Spaltung: An der Kernfusion.
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Dabei handelt es sich um "sehr, sehr anspruchsvolle Physik", erklärt Isabella Milch vom Max-Planck-Institut für Plas maphysik in Garching bei München, wo die größte deutsche Fusionsanlage steht. Kernfusion ist gleichsam eine andere Art von Sonnenenergie: Auf Sonne und Sternen passiert das, was man nun auf der Erde nachbaut.
100 Millionen GradCelsius benötigt
Schwerer und überschwerer Wasserstoff (Deuterium und Tritium) verschmelzen zu Helium. Dabei werden große Mengen Energie frei, die in einem künftigen Fusionskraftwerk zur Stromerzeugung genutzt werden könnten. Allerdings braucht es auch große Mengen Energie, um diesen Prozess in Gang zu setzen. Denn eigentlich stoßen sich Deuterium und Tritium ab. Eine Fusion kann erst bei 100 Millionen Grad Celsius erreicht werden. Der Brennstoff ist dabei Plasma aus Deuterium und Tritium - ein sehr dünnes, ionisiertes (positiv geladenes) Gas.
In den Forschungsreaktoren wird diese Temperatur etwa mit Mikrowellen oder Strom, der durch das Plasma geschickt wird, erreicht. Der Brennstoff würde aber sofort auskühlen, wenn er gegen eine Wand stößt. Da das Plasma auf elektromagnetische Felder reagiert, wird es daher in einen Magnetfeldkäfig gesperrt.
Die bei der Fusion entstehenden Neutronen werden durch ein Blanket aufgefangen, von dort könnte dann Energie abgeführt werden, die über eine Turbine Strom erzeugt. Der Weg zu einem kommerziellen Kraftwerk ist aber noch weit. Das Hauptproblem der Forscher ist es, die Hitze im Reaktor und damit das nukleare Feuer aufrechtzuerhalten. Ausschlaggebend dafür ist die Reaktorgröße. So ist die größte Anlage, der Jet im britischen Culham mit 80 Kubikmetern zu klein, um mehr Energie zu erzeugen, als sie verbraucht. Als größter Erfolg konnte der Jet 67 Prozent der verbrauchten Leistung zurückgewinnen.
Derzeit wird im südfranzösischen Cadarache ein größerer Forschungsreaktor gebaut: Der Iter (lateinisch "der Weg"), an dem neben Euratom auch die USA, Russland, Japan, China, Korea und Indien beteiligt sind, soll 2019 fertig sein und 830 Kubikmeter Plasmavolumen haben. "Wenn das Erfolg hat, dann ist das die letzte Anlage vor einem richtigen Kraftwerk", sagt Milch. Die ersten kommerziellen Fusionskraftwerke könnten 2050 ans Netz gehen, hoffen die Forscher.
Wenn dies gelingt, würde sich die Forschung amortisieren, meint Milch. Denn einerseits gebe es bei der Fusion keine Rohstoffprobleme: Deuterium könne etwa durch Elektrolyse aus normalem Wasserstoff gewonnen werden. Tritium werde aus Lithium gewonnen - ein Stoff, der etwa in Meerwasser zu finden sei.
Ein Gramm Plasmastatt elf Tonnen Kohle
Und ein Gramm Plasma kann dieselbe Verbrennungswärme freisetzen wie elf Tonnen Kohle.
Andererseits sei Fusion auch sicherer als Spaltung: So kann nukleares Feuer nur dann aufrechterhalten werden, wenn ständig Plasma hinzugefügt wird, in Spaltungskraftwerken sind die Brennstäbe fixer Bestandteil des Reaktors. Auch gebe es weniger radioaktiven Müll, die Bauteile können nach 500 Jahren wiederverwendet werden.
Ist die Kernfusion also die Wunderwaffe für die Energieversorgung? Bei weitem nicht, meint Niklas Schinerl von Greenpeace.
Iter kostet6,6 Milliarden Euro
Er verweist etwa auf die enormen Kosten. So kostet Iter etwa 6,6 Milliarden Euro, 45 Prozent davon werden von Euratom getragen - der Preis dafür, dass der Reaktor auf europäischem Boden steht. Alleine in den Jahren 2012 und 2013 sind im Euratom-Budget 2,2 Milliarden Euro für die Fusionsforschung vorgesehen. Damit bleiben für die Reaktorsicherheitsforschung nur noch rund 300 Millionen Euro übrig. Österreich zahlt laut Schinerl rund 40 Millionen Euro jährlich in den Euratom-Topf ein, während der Deckel für den Ausbau erneuerbarer Energien bei 20 Millionen liege. Für ihn ist Iter daher ein haltloses Zukunftsversprechen der Atomindustrie und ein "Milliardengrab".