Zum Hauptinhalt springen

Die andere christliche Revolution

Von WZ-Korrespondent Tobias Käufer

Politik

Am Sonntag könnte ein evangelikaler Prediger in Costa Rica zum Präsidenten gewählt werden. Ein klares Indiz für den Machtverlust der katholischen Kirche in der "Neuen Welt".


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

San Jose. Der Mann, der für eine historische Zeitenwende sorgen könnte, legt Wert auf ein gepflegtes Äußeres: Fabricio Alvarado wählt die "Uniform" eines klassischen Konservativen: Anzug, Krawatte, weißes Hemd, die Haare perfekt gestylt. Nicht nur optisch verkörpert der evangelikale Prediger, Journalist und Sänger christlicher Lieder klassische konservative Werte, auch inhaltlich positioniert sich Alvarado als christlicher Fundamentalist. Wann auch immer in Costa Rica "progressive" Themen auf die Tagesordnung kamen, Alvarado stellte sich dagegen. Keine Legalisierung von Drogen, keine Homo-Ehe, Nein zur Abtreibung oder zur künstlichen Befruchtung und die gesamte Gender-Debatte ist ihm ohnehin ein Graus. "Werteverteidigung" nennt er das und trifft damit offenbar den Zeitgeist.

Alvarado könnte als evangelikaler Geistlicher im Präsidentenamt eines lateinamerikanischen Landes zur Symbolfigur werden. Die meisten Umfragen sehen den 43-Jährigen bei der Stichwahl gegen den sozialdemokratischen Schriftsteller und Ex-Arbeitsminister Carlos Alvarado vorne. Es wäre ein gesellschaftspolitischer Erdrutsch, der den Einflussverlust der katholischen Kirche vor allem in Mittelamerika dokumentiert. Costa Ricas Bischöfe bemühten sich wenige Tage vor dem historischen Tag um gute Miene zum für sie bösen Spiel. Die katholische Kirche werde niemals ein Akteur den Wahlen sein, schrieben die Bischöfe unmittelbar vor den Präsidentschaftswahlen am Ostersonntag. Wer will, kann daraus einen Vorwurf lesen, denn Fabricio Alvarado tut genau das.

Aderlass für die Kirche

Fabricio Alvarados Aufstieg hat viel mit der Zerrissenheit zu tun, die innerhalb der katholischen Kirche zu beobachten ist, seit mit Franziskus erstmals ein Lateinamerikaner Papst geworden ist. Der Linksruck des aus Argentinien stammenden Pontifex, seine Kehrtwendungen kommen im erzkonservativen Teil der katholischen Kirche gar nicht gut an. Schweigen deren Vertreter unter den Bischöfen oder Kardinälen, ist es beim Fußballvolk anders. Es läuft davon. Umfragen sehen den Anteil der Gläubigen, die inzwischen zu den verschiedenen evangelikalen Gruppierungen gewechselt sind, bereits bei bis zu 50 Prozent. Geht es in diesem Tempo weiter, ist von der einst marktbeherrschenden Stellung der Kirche auf ihrem Kernmarkt Lateinamerika bald nicht mehr viel übrig. Rio de Janeiro, die Stadt mit der weltberühmten Christus-Statue, wird bereits von einem evangelikalen Bischof regiert. Er setzt in den Verwaltungen vor allem auf loyale Gefolgsleute aus der eigenen Glaubensgemeinschaft.

Der überraschende Aufstieg des nichtkatholischen Alvarado als Kandidat der konservativen "Partido Restauración Nacional (PRN)" begann Mitte Jänner. Damals mahnte der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) die Stärkung von gleichgeschlechtlichen Ehen in Costa Rica an. Bisher sind Homo-Ehen in Costa Rica noch nicht anerkannt. Doch die Mehrheit der Costaricaner lehnt das strikt ab: "Die Ehe gibt es nur zwischen Mann und Frau. Das ist es, was wir verteidigen", sagt Alvarado und setzte sich an die Spitze dieser Bewegung.

Stimmung falsch eingeschätzt

Wie sehr die bestimmenden Leitmedien die Stimmung im Volk unterschätzte, zeigte eine andere Begebenheit. Die Zeitung "La Nacion", eine der meistgelesenen Tageszeitungen des Landes, musste ihre Leser um Entschuldigung bitten, weil die Redaktion nur mit einer kurzen Meldung und einem irreführenden Foto über einen Massenprotest gegen Schwangerschaftsabbrüche berichtet hat. Laut Organisatoren kamen beim "Marsch für das Leben" mehr als 600.000 Menschen in San Jose zusammen. Eine bemerkenswerte Zahl angesichts von insgesamt nur fünf Millionen Einwohnern.