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Die andere Form des Antisemitismus

Von Katharina Schmidt

Politik
"Wach auf Hitler": Dieses Schild hat ein Demonstrant im Juni 2010 nach dem Überfall Israels auf die türkische Gaza-Hilfsflottille hochgehalten (Screenshot). Foto: youtube.com

Junge Türken schlugen Israel-Fan und skandierten Nazi-Parolen. | Zurzeit Verhältnis zwischen Juden und Muslimen in Österreich gestört. | Wien/Innsbruck. Auf den ersten Blick klingt der Vorfall wie eine Schlägerei unter Jugendlichen. In einem Innsbrucker Bus wird ein 19-jähriger Lehrling von zwei Burschen verprügelt. Er verliert eine Kontaktlinse, trägt Blessuren davon und flüchtet. Die Polizei sucht wegen Körperverletzung nach den Tätern.


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Die Hintergründe der Tat sind andere: Der Lehrling, ein gebürtiger Innsbrucker, ist Israel-Fan und trägt einen Davidstern um den Hals. Die Burschen mit türkischem Migrationshintergrund "haben mich offenbar für einen Juden gehalten", sagte der 19-Jährige zur "Tiroler Tageszeitung". Während sie ihn schlugen, schimpften sie, "Hitler hätte die Juden fertigmachen sollen, Israelis wären Kindermörder, und die Türkei werde Israel wegfegen".

Normalerweise habe man ein gutes Verhältnis zu den "moderaten Muslimen", sagt Esther Fritsch von der Israelitischen Kultusgemeinde Tirol. Mittlerweile sei es aber "gang und gäbe, dass Islamisten die Nazi-Propaganda aufgreifen".

Gibt es eine neue Form des Antisemitismus, die nicht mehr so sehr von den Neonazis als von radikalen Islamisten ausgeht? Der Leiter des Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) in Tirol, Christian Schmalzl, glaubt nicht, "dass dieser Antisemitismus den anderen ablöst. Israel war im islamistischen Kontext schon immer ein Feindbild." Auch beim Bundesamt für Verfassungsschutz sieht man keine Zunahme islamistischer Übergriffe auf Juden.

Probleme seit Überfall auf Gaza-Flottille

Anders wird die Situation von der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) wahrgenommen. Seit dem Überfall auf die türkische Fähre "Mavi Marmara" am 31. Mai 2010 habe es einen "starken Anstieg" islamistisch motivierter Attacken auf Juden gegeben, erklärt Generalsekretär Raimund Fastenbauer. Bei dem Angriff eines israelischen Kommandos auf die Gaza-Hilfsflotte waren damals neun türkische Aktivisten getötet worden. Die Wut darüber war auch in Österreich groß. Anfang Juni fanden in Wien zwei Demonstrationen statt - bei der ersten schwenkte ein Teilnehmer ein Schild in die Kamera, auf dem "Wach auf Hitler" zu lesen war.

Diese Aktion war laut Fastenbauer nicht die einzige: In Wien-Brigittenau, wo viele Türken und viele Juden leben, habe es nach dem Angriff auf das Schiff "nahezu jede Woche Reibereien" gegeben. Ein jüdischer Bub sei aus seiner nicht-jüdischen Klasse hinausgemobbt worden, einmal sei es zu einer Messerstecherei gekommen.

Auch mit dem Filmstart von "Tal der Wölfe" am 27. Jänner, dem Holocaust-Gedenktag, seien wieder mehr Übergriffe zu verzeichnen gewesen. Dem umstrittenen türkischen Film, der von dem Überfall auf die "Mavi Marmara" handelte, wurde von mehreren Seiten Antisemitismus vorgeworfen.

Von der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) hätte sich Fastenbauer mehr Unterstützung gewünscht: "Sie hat uns in dieser Problematik sehr enttäuscht", sagt er. Kritik an derartigen Übergriffen würde seitens der offiziellen Vertretung der Muslime "oft abgeschmettert, als sei es nur ein politischer Konflikt. Aber auch bei einem politischen Konflikt gibt es eine rote Linie, die nicht überschritten werden darf".

"Jeder Antisemitismus ist strikt abzulehnen"

"Jede Art von Antisemitismus, vor allem wenn er sich in körperlicher Form äußert, ist strikt abzulehnen", meint IGGiÖ-Sprecherin Carla Amina Baghajati dazu. Die IGGiÖ "steht voll hinter dieser Maxime und handelt auch entsprechend". Schon bei der Ausbildung der islamischen Religionslehrer gebe es etwa fixe Synagogen-Besuche. Sie sieht auch keinen Anstieg antisemitischer oder islamistischer Tendenzen. "Im Gegenteil: Seit diesen Vorfällen wird noch mehr darauf geachtet, dass die Kritik an der Politik des Staates Israel nicht ins Antijüdische abgleitet." Es dürfe aber auch nicht sein, dass jede Kritik an Israels Politik "gleich als Antisemitismus gesehen wird".

Platter: Klare Liniegegen Rassismus

Klar scheint aber, dass das Verhältnis zwischen Juden und Muslimen in Österreich - beziehungsweise deren offiziellen Vertretungen - durch die Entwicklungen in Gaza nachhaltig gestört ist. Das geht aus Fastenbauers wie auch aus Baghajatis Worten hervor.

Was den Überfall in Innsbruck betrifft, so herrscht auf beiden Seiten Entsetzen. Laut LVT-Leiter Schmalzl handelt es sich dabei um einen "sehr vereinzelten Vorfall". Im Büro von Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) will man den Einzelfall nicht kommentieren, generell habe man aber eine "klare Linie gegen Rassismus und Antisemitismus".