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Die Angst bekämpfen

Von Reinhard Göweil

Politik

Der neue Kanzler Christian Kern muss sich vor allem der Wirtschaftspolitik annehmen.


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Wien. Wenn am kommenden Dienstag um 17 Uhr Bundespräsident Heinz Fischer Christian Kern als Bundeskanzler angelobt, ist eine schwierige innenpolitische Phase beendet - die Arbeit beginnt allerdings erst. Das neue Regierungsteam hat dabei vor allem eine Aufgabe, die am Donnerstag Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl so beschrieb: "Die Angst vor sozialem Abstieg ist im Mittelstand angekommen. Dem gilt es massiv entgegenzuwirken."

425.000 Arbeitslose gibt es mittlerweile in Österreich. Die Gesamtbeschäftigung liegt mit 3,5 Millionen zwar auf Rekordniveau, doch darin enthalten sind viele Teilzeit-Jobs.

Ähnlich präsentiert sich das heimische Unternehmertum: 87 Prozent der etwa 350.000 Unternehmen haben weniger als zehn Beschäftigte. Viele dieser Unternehmer sind ebenfalls skeptisch, deren Optimismus liegt teilweise deutlich unter jenem der Nachbarländer. Die Bank Austria errechnete, dass die Investitionsquote in Österreich mit 22 Prozent (gemessen an der Bruttowertschöpfung des Landes) einen neuen Tiefstwert erreichte und um satte drei Prozentpunkte unter dem Niveau von 2008 liegt. In absoluten Zahlen sind dies zehn Milliarden.

Die Folge: Die Arbeitslosigkeit soll heuer weiter steigen.

Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen müsste die Regierung mit einem umfassenden Arbeitsprogramm für Aufbruchstimmung sorgen, so die Wirtschaftsexperten aus Wifo und IHS. "Allein die Diskussion, ob ein Standort gut oder schlecht ist, ist schon schlecht", beschrieb es IHS-Konjunkturforscher Helmut Hofer. Das Wifo, das derzeit an einem Gesamtkonzept arbeitet, wo Österreich 2025 stehen soll, will ebenfalls "die Reformkraft wiederherstellen".

Eine wesentliche politische Aufgabe des künftigen Bundeskanzlers Kern wird es dabei sein, die recht unkoordiniert - je nach Parteifarbe des Ministers - vor sich hin werkenden Ministerien stärker zu vernetzen und die Länder hinein zu koordinieren.

Sozialpartner sollen in die Pflicht genommen werden

Das ist leichter gesagt als getan. Die Wirtschaftsforscher und viele Unternehmer wie Hannes Androsch wollen eine Bildungsreform, die über das hinausgeht, was bisher beschlossen ist. Und nicht einmal die ist umgesetzt.

Ohne Bildungs-Offensive ist es aber kaum möglich, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Die Hälfte der Arbeitslosen verfügt über keinen Bildungsabschluss, sondern hat bloß die Schulpflicht beendet. Ein Fünftel der Lehrlinge macht keine Lehrabschlussprüfung und immer mehr Jugendliche verlassen die Schule, ohne sinnerfassend lesen zu können.

Weggefährten von Christian Kern erwarten, dass er als Regierungschef in diesen Bereichen die Sozialpartner viel stärker fordern wird als es Werner Faymann tat. Das gilt nicht nur für die Gewerkschaften, sondern auch für die Arbeitgeber-Vertreter. Letztere fordern seit Jahren eine Liberalisierung der Arbeitsgesetze, Erstere wollen eine Liberalisierung der Gerwerbeordnung, um Berufszugänge zu erleichtern.

Faktisch passiert ist weder das eine noch das andere, was - wie die Wirtschaftsexperten von Wifo und IHS beklagen - das "potenzielle Wachstum" Österreichs reduziert. Hier dürfte Kern von ÖVP-Ministern wie Hans Jörg Schelling deutliche Unterstützung erhalten. Die ÖVP steht da unter Druck von den Neos, die das lautstark fordern.

Politische Projekte, die eher dem Schaufenster dienen als einem gut sortierten Geschäft dahinter, wird der pragmatische Kern eher zurückdrängen. Wifo-Chef Karl Aiginger nannte jüngst so ein Beispiel: Die ÖVP will - um Flagge zu zeigen - die Mindestsicherung deutlich zurückfahren. Laut Aiginger ist der Missbrauch der Mindestsicherung kein Problem. Vielmehr sollte die Mindestsicherung mit Bildungsangeboten verknüpft werden. "Der größte Teil der Bezieher - auch Flüchtlinge - will arbeiten." In die aktuell recht oberflächlich gehaltene Mindestsicherungs-Debatte wurde zuletzt aber sehr viel Zeit und Streit investiert.

Aiginger verlangt auch eine generelle Gebührenbremse sowie eine Verwaltungsreform. Hier sind die Länder und Gemeinden gefordert. Der künftige Bundeskanzler hat da wenig Zeit, sich einzuarbeiten. Bis Herbst muss der neue Finanzausgleich stehen, der die Steuereinnahmen vom Bund auf neun Bundesländer und 2300 Gemeinden verteilt. Derzeit wird diskutiert, diesen Schlüssel "aufgabenorientiert" zu organisieren, doch sind diese Aufgaben unklar verteilt. Hannes Androsch und Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl sind der Überzeugung, dass allein in diesem Bereich Milliarden Euro sinnlos ausgegeben werden.

Entfesselte Bürokratie und der "Entsende-Missbrauch"

Als wesentliche Aufgabe beschreiben Politiker auch die Steigerung der bürokratischen Effizienz. Niessls Beispiel: "Wir haben in Eisenstadt 13 Jahre auf den Neubau der HTL, das ist eine Bundesschule, gewartet. Das Ministerium tat nichts. Nun haben wir es selber in die Hand genommen und das Ganze in drei Jahren umgesetzt, die Schule wird derzeit gebaut."

Zweites Beispiel: Die vor fast zwei Jahren von der Regierung angekündigte Wohnbau-Offensive, die 6,5 Milliarden Euro freisetzen soll, gibt es bis heute nicht. Fehlende Wohnungen sind aber - vor allem in den Städten - eines der drängendsten Probleme. Bei Einfamilienhäusern sind manche Förderungen an harte Vorschriften gebunden, sodass etliche Häuslbauer darauf verzichten, weil sie den Bau verteuern würden. Wohnbauexperten wollen eine radikale Vereinfachung.

Und seit Jahren wird politisch getrommelt, dass die Gesetze gegen Lohndumping verschärft wurden. Vor allem in Ostösterreich werden Schein-Entsendungen über ungarische, polnische oder rumänische Firmen immer mehr. Dabei werden vor allem Erwerbstätige ersetzt, die sich in zweiter oder dritter Generation in Österreich befinden. "Die wählen dann die FPÖ", ärgert sich Niessl.

Für ihn ist das keine Frage von linker oder rechter Politik, sondern die Bekämpfung eines Missbrauchs. Niessl ist überzeugt, dass Kern dies ähnlich sieht.

In einer anderen Frage gab es dafür am Freitag eine deutliche Entspannung. Mangels Flüchtlingen haben Innenminister Wolfgang Sobotka und sein italienischer Amtskollege festgestellt, dass die "Grenzsicherungsmaßnahmen" am Brenner nicht ausgeführt werden. Ab nächster Woche hat Christian Kern die Chance, "der Partei Stolz und Begeisterung zurückzubringen", wie es der Salzburger Walter Steidl formulierte.