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Die Angst der Deutschen vor der Atomkraft

Von Haimo L. Handl

Gastkommentare

Die Reaktionen der Deutschen auf die Atomkatastrophe in Japan haben viele erstaunt. Berufene Vernünftige schelten die Deutschen Unvernünftige und malen das Zerrbild der fälschlich sich zu Tode Geängstigten, der Furchtsamen; sie machen sich lustig über deutsche Bedenken.


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Es scheint, jede Reaktion würde genüsslich kritisiert, verzerrt, abgewertet werden. Reagieren weite Teile der Bevölkerung auch auf eine entfernte Katastrophe und stellen eigene Forderungen, sind sie Verängstigte.

Man hätte nicht Fukushimas bedurft, um die Fragwürdigkeit der Sicherheitsrechnungen und der Budgetierungen zu bemerken: Der "billige Strom aus der Steckdose" durch Atomkraftwerke ist schlimmer als eine Milchmädchenrechnung, weil eine wesentliche Täuschung. Das Nichtberücksichtigen der "Nebenkosten" ist nicht nur betrügerisch, es ist politisch fahrlässig.

Die Krisenmanagements in allen bisherigen kleinen und größeren GAUs haben eindrücklich die erschreckende Unfähigkeit "adäquater" Reaktion unter Beweis gestellt. Weiters wurde deutlich, dass "natürlich" niemand die Verantwortung übernehmen konnte (wie auch). Angst vor Atomkatastrophen ist nicht gleichzusetzen mit Angst vor einem Brückeneinsturz oder dem nächsten schwarzen Freitag. Denn die nukleare Katastrophe weist ein Spezifikum auf, das allen anderen Katastrophen fehlt. Deshalb ist die Gleichsetzung entweder ein übler Betrug oder eine bodenlose Dummheit.

Es fällt auf, dass fast niemand der Kritiker der Deutschen Werke und Autoren nennt, die sich im deutschen Sprachraum beispielhaft zum Problemkomplex Atomkraft geäußert haben: Robert Jungk (1913 bis 1994; "Der Atomstaat" 1977), Günther Anders (1902 bis 1992; "Die Antiquiertheit des Menschen" 1956) und Karl Jaspers (1883 bis 1969; "Die Atombombe und die Zukunft des Menschen" 1956/1957).

Schon früh waren kritische Stimmen zu hören. Die Überlegungen und Warnungen richteten sich nicht nur auf einen drohenden Atomkrieg, sondern die gesamte Komplexität der Situation, in der Nuklearenergie vermeintlich "friedlich", als auch kriegerisch verwendet werden konnte. Immerhin hatten die Amerikaner zwei Atombomben eingesetzt und damit das Zeitalter der höchstentwickelten Massenvernichtung eingeleitet, immerhin funktionierte im darauffolgenden Rüstungswettlauf das Konzept des "Gleichgewichts des Schreckens" nicht sehr reibungslos. Die Gefahr von Fehlern, mit nachhaltigeren Folgen als beim sonstigen Bombenhagel, war gegeben. Kritik an der Atomkraft, nicht zu sprechen am Atomkrieg, ist keine Technikfeindlichkeit per se, ist kein Ausfluss einer Angstneurose, sondern Ausdruck humaner Vernunft.

Haimo L. Handl ist Politik- und Kommunikationswissenschafter.