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Die Angst der EU-Bürger vor der Illegalität

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik

Ein No-Deal-Brexit würde 3,6 Millionen EU-Bürger in Großbritannien über Nacht zu rechtlosen Fremden machen. Der Menschenrechtsausschuss in Westminster schlägt Alarm - und eine Bürgerinitiative wehrt sich.


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Bristol. Vielen Briten ist äußerst mulmig zumute beim Gedanken an einen No-Deal-Brexit in wenigen Tagen. Noch viel nervöser sind aber ihre Nachbarn, Freunde und Arbeitskollegen aus dem Rest der EU. Falls Großbritannien am 12. April ohne Austrittsabkommen mit Brüssel aus der EU schlittert, werden 3,6 Millionen Bürger aus der EU zu illegalen Einwanderern. Sie werden über Nacht zu "aliens", zu rechtlosen Fremden im Vereinigten Königreich. Niemand garantiert ihnen dann, dass sie weiter in Großbritannien leben und arbeiten dürfen. Sie wissen nicht einmal, ob sie ihren Wohnungen oder Häusern bleiben können.

Zu diesem Schluss ist nun ein Bericht des parlamentarischen "Ausschusses für Menschenrechte" in Westminister gekommen, der alarmiert darauf hinweist, dass bei einem "No Deal" alle Rechte für diesen Bevölkerungsteil erlöschen. Statt sich wie bisher auf das EU-Recht stützen zu können, würden Millionen in
Britannien ansässige EU-Bürger dem britischen Einwanderungsrecht unterliegen. Laut dem Ausschussbericht wären sie "aller Rechte beraubt, ohne dass sie eine Garantie haben, dass diese Rechte durch neue ersetzt werden". Selbst die Iren, die immer Sonderrechte genossen, könnten sich dieser nicht mehr sicher sein.

Plötzlich Migrant

Für Maike Bohn kommt das nicht überraschend. Die deutsche Bildungsberaterin, die mit ihrem britischen Mann in Bristol wohnt, ist empört darüber, dass sich seit der britischen Austrittserklärung vom März 2017 trotz aller Warnungen "im Grunde kaum etwas geändert" hat: "Von Rechts wegen haben wir nicht mehr Sicherheit als vor zwei Jahren." Leider habe auch die EU nicht genug getan, um daran etwas zu ändern: "Wir sind immer noch Verhandlungskapital."

Nicht vergessen hat Bohn auch den "Schock" des Referendums vom Sommer 2016: "Wir hatten ja kein Stimmrecht. Da wurde etwas entschieden, was uns auf einmal zu einer Minderheit machte. Mit einem Mal wurden wir von Europäern, die friedlich hier lebten, zu Migranten, denen ihre angestammten Rechte aberkannt werden sollten."

Bohn findet es "unglaublich", dass damals selbst EU-Bürger, die seit Jahrzehnten hier leben, kein Recht hatten, ihre Zukunft mitzubestimmen. Dagegen waren Zuwanderer aus dem Commonwealth, selbst wenn sie erst kurz vor dem Referendum nach Großbritannien gekommen waren, voll stimmberechtigt bei jenem Volksentscheid.

"Anfangs wussten wir gar nicht, was auf uns zukommt", sagt Bohn. Als die Leute dann aber begriffen, dass sich alles ändern würde, versuchten sich viele in aller Eile über die üblichen 85-Seiten-Anträge für Zuwanderer aus Drittländern zumindest permanentes Aufenthaltrecht zu verschaffen, "um irgend ein Papier in der Hand zu haben".

Das aber führte zu jenen notorischen Antwortschreiben des Innenministeriums, in denen Antragsteller fälschlich als illegale Einwanderer eingestuft und zum sofortigen Abzug aus Großbritannien aufgefordert wurden - obwohl die Betreffenden noch immer EU-Recht unterlagen, also das Recht hatten, im Land zu sein.

Bürger zweiter Klasse

Diese Schreiben mit den Deportations-Drohungen, sorgten damals für viel Empörung. "Vor allem merkten wir auf einmal, was da los war, was für ein System feindseliger Ausgrenzung Theresa May schon als Innenministerin aufgebaut hatte und dass wir dem plötzlich ebenfalls ausgeliefert waren", sagt Bohn.

Sie und eine Gruppe befreundeter EU-Bürger gründeten die Bürgerinitiative "the3million". Sie ist seither das wichtigste Sprachrohr verstörter Europäer auf der Insel. Im Büro des Verbandes, einem kleinen Raum in einer aufgefrischten Werkshalle in Bristol, helfen Bohn und ihre Mitstreiter Betroffenen mit Informationen und nehmen als Lobby-Gruppe Einfluss auf die Londoner Politik und auf die Reaktionen der EU.

Erleichtert sind "the3million" über die Regelungen, die in den Austrittsvertrag eingegangen sind, den London und Brüssel voriges Jahr ausgehandelt haben. Er begründet einen neuen "settled status", den Status "fest angesiedelter" Bürger, und sichert EU-Bürgern zumindest ein paar grundlegende Rechte zu.

Um den neuen Status müssen sich EU-Bürger in Großbritannien vor Ende 2020 bewerben, indem sie nachweisen, dass sie seit mindestens fünf Jahren im Land gelebt haben. Der Bewerbungsprozess ist gerade angelaufen, hat aber auch schon bittere Klagen ausgelöst. Erstens tun sich ältere und benachteiligte Personen oft schwer mit der rein elektronischen Form der Registrierung. Den Sprechern von "the3million" gefällt auch nicht, dass man am Ende im Ministerium lediglich als Nummer existiert und nicht einmal ein Zertifikat zum neuen Status erhält.

"Wir sind dann die einzige Gruppe in Großbritannien, die kein Dokument vorweisen kann", sagt Maike Bohn. Registrierte Immigranten aus aller Welt verfügen über entsprechende Papiere. Das hat zum Vorwurf geführt, EU-Bürger würden post Brexit zu Bürgern zweiter Klasse herabgestuft.

"Das kann fatal sein, wenn man schnell seinen Status nachweisen muss", sagt Bohn. "Wenn ich zum Beispiel eine Wohnung mieten will, stehe ich dumm da und muss die Vermieter fragen, ob sie bitte mal auf ihrem Computer die Rechtmäßigkeit meiner Existenz im Lande überprüfen könnten - während ein Australier nur seinen Ausweis aus der Tasche ziehen muss."

Depressionen angestiegen

"Das Ganze ist ein Experiment", sagt Bohn. "Ein völlig digitales Meldesystem - weil die Briten alles zentralisiert und digitalisiert haben. Unsere Sorge ist, dass das nicht funktioniert." Ungute Gefühle gibt es auch, weil sämtliche Daten von der Regierung weitergereicht werden können, ohne dass die Betroffenen erfahren, an wen sie gehen.

Und dies ist noch "die beste Lösung" - eine Lösung, die auf einer vertraglichen Regelung basiert. Sollte es am 12. April zu einem No-Deal-Brexit kommen, stehen die 3,6 Millionen EU-Bürger erst einmal ganz ohne Sicherheit da.

Können sie sich dann noch weiter im staatlichen Gesundheitswesen behandeln lassen? Viele Fragen dieser Art sind ungelöst. Kein Wunder, meint Bohn, dass so viele EU-Bürger sich elend fühlen: "Viele schlafen schlecht. Und Ärzte und Therapeuten, die wir kennen, berichten von sehr viel mehr Depressionen und anderen Problemen."

Viele Kontinentaleuropäer haben kapituliert und sind in ihre Herkunftslänger zurückgezogen. Andere aber, die sich zur Wehr setzen und ihre Rechte in der Öffentlichkeit verteidigen, werden oft angefeindet. Einige haben anonyme Drohungen erhalten. "Ich bin", sagt Bohn, "eigentlich jeden Tag wieder erschüttert über das, was hier in meiner Wahlheimat passiert."

Froh ist Bohn in dieser Situation über ihren familiären Rückhalt - und über die internationale Solidarität, die die Arbeit für "the3million" mit sich gebracht hat. Außerdem, sagt sie, gebe es viele Briten, die sich gegen die alten Ressentiments im Land stemmten: "Was sich da gewandelt hat, darf man nicht unterschätzen. Innerhalb der letzten zwei Jahre habe ich hier eine regelechte Bürgerbewegung für Europa und die EU heranwachsen sehen." So etwas habe es früher nicht gegeben.