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Die Angst der Iraker vor dem Tor

Von Sonia Bakaric

Politik

Bagdad - Das Freundschaftsspiel zwischen Gastgeber Irak und der kasachischen Auswahl im Fußballstadion von Bagdad näherte sich den Schlussminuten. Beim Stand von 1:2 gelang es den Irakern in der sportlich unbedeutenden Partie kurz vor dem Ende nicht mehr, einen Elfmeter zum Ausgleich zu verwandeln. Beim Schlusspfiff des Schiedsrichters wussten alle Spieler der irakischen Nationalmannschaft, was ihnen blühte, wenn der letzte Zuschauer das Stadion verlassen hatte. Sechs Jahre nach der Niederlage gegen Kasachstan erinnert sich Ex-Nationalspieler Ahmed Sabat nur noch ungern an die Ereignisse nach dem Spiel.


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Die Spieler und der Trainer mussten sich im leeren Stadion auf den Rasen legen. Dann seien die Schergen von Udai gekommen, dem Sohn Saddam Husseins. "Sie schlugen uns mit Stöcken auf die Füße und auf den Rücken, und ohrfeigten uns zur Strafe." Die folterähnlichen Trainingsmethoden hinterließen nicht nur körperliche Schäden. "Wir litten im Stillen", beschreibt Sabat, der früher als Riesentalent galt, die Angst. "Es gab einen enormen psychologischen Druck auf die Spieler, besonders im Moment des Torschusses."

Der für seine Gewaltexzesse bekannte Präsidentensohn hielt die meisten Fäden des sportlichen und sozialen Lebens in Irak in der Hand. Trotz seiner eigenen Unsportlichkeit lenkte Udai Hussein den irakischen Fußballverband ebenso wie das Nationale Olympische Komitee (NOK), dessen Gebäude im Stadtzentrum von Bagdad auch knapp zwei Wochen nach der Eroberung durch die Amerikaner noch immer in Flammen steht. "Dort gab es einen rot gestrichenen Raum, in dem Sportler tagelang isoliert wurden. Jeder hatte Angst davor", erinnert sich Sabat.

Das US-Nachrichtenmagazin "Time" berichtete, Sportler, die sich schlechter Leistung "schuldig" gemacht hätten, seien in den Quartieren der Sportverbände misshandelt worden. So hätten Plünderer im NOK-Gebäude eine Art Stahlsarkophag entdeckt, dessen in die Klappe innen eingelassene Spitzen jeden darin Liegenden aufspießen sollten.

Der Druck von außen erzeugte jedoch offenbar eine verstärkte Solidarisierung unter den Teammitgliedern, wie ein anderer Spieler berichtet, der anonym bleiben möchte. Die Sportler hätten sich gegenseitig Mut zugesprochen. Immer wieder hätten Spieler ihre Reiseprivilegien auch genutzt, um sich abzusetzen, zum Beispiel in Rumänien.

1998 habe eine Jugendmannschaft ein Spiel in Jordanien verloren, beschreibt der Fußballer weitere Schikanen. Bei der Rückkehr sei die gesamte Mannschaft mit Trainer Naji Hmud in ein Gefängnis gesteckt worden. "Die Gefängniswärter haben uns geschlagen und als Verräter beschimpft." Nach einem Monat Haft seien alle entlassen worden und hätten sich regulär wieder zum Training in ihren Vereinen melden müssen.

Der Fußball-Weltverband FIFA bekam 1997 Wind von den Misshandlungen. Eine offizielle Untersuchung, betonte die FIFA im November 1997, habe jedoch absolut keine Anhaltspunkte ergeben. Die Kontrolleure aus Katar und Malaysia sollen zwar zwölf Spieler untersucht und befragt haben, doch Folterspuren wurden nicht entdeckt. Die FIFA betrachtete die Angelegenheit als "abgeschlossen", nachdem der irakische Verband versicherte, eine Folterung der Spieler sei schon aus "logistischen" Gründen nicht möglich gewesen.

Die Fußballarena im Stadtteil El Shaab ist inzwischen von US-Soldaten blockiert und von Panzern umstellt. Fußball wird hier vorläufig nicht gespielt, obwohl die Iraker fußballbegeistert sind. Trotz des jahrelangen Embargos tragen viele junge Menschen die Trikots ihrer Lieblingsvereine vor allem aus Deutschland, Großbritannien oder der brasilianischen Nationalmannschaft. Nach dem Krieg spielen Kinder nun wieder in den Straßen von Bagdad - mit zerschossenen Flugabwehrgeschützen als Kulisse. Als Tore dienen ausgemusterte Porträts von Saddam.