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Englands Zentralbank-Boss Mark Carney bringt die EU-Austrittsbefürworter gegen sich auf.
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London. Mit freimütigen Äußerungen zu möglichen Folgen eines britischen EU-Austritts hat sich nun Englands Zentralbanks-Boss den Zorn der Unionsgegner auf der Insel zugezogen. Mark Carney, dem Gouverneur der Bank von England, wird vorgeworfen, die Neutralität der Bank in politischen Fragen verletzt zu haben - womöglich auf Weisung des konservativen Premierministers David Cameron.
Die Beschuldigung bezog sich auf Carneys Auftritt vor dem Finanzausschuss des Unterhauses am Dienstag. Bei diesem Auftritt versicherte Carney, die Zentralbank mache "keinerlei Empfehlungen" dazu, ob Großbritannien Ja oder Nein zum Verbleib in der EU sagen sollte. Es gehe ihm und der Bank außchließlich um die "finanzielle Stabilität" im Lande. Die aber sieht der gebürtige Kanadier im Falle eines Brexit offenkundig gefährdet.
Höhere Inflation und geringerer Konsum
Unter anderem äußerte Carney die Befürchtung, bei einem britischen Nein zur EU beim Referendum am 23. Juni könne sich wegen Währungsverfalls die Inflation erhöhen und der Konsum im Lande vermindern. Investitionen könnten ausbleiben und Unternehmen, die ihre Geschäfte im EU-Bereich machten, könnten sich höheren Kosten gegenüber sehen, weil sie es mit zweierlei Vorschriften zu tun hätten.
Die City of London, das britische Finanzzentrum, meinte Carney außerdem, würde wohl Arbeitsplätze im Bankenbereich verlieren: Denn manche Banken würden einen Abzug aus London für "logisch" halten. Insgesamt, warnte Carney, stelle ein britischer EU-Austritt im Blick der Zentralbank "das größte heimische Risiko für finanzielle Stabilität" dar. Nur die globalen Risiken einer weltweiten Finanzkrise seien größer. Allein, dass es zum Brexit kommen könnte, habe ja in den letzten Wochen das Pfund erheblich an Wert gekostet.
Die Äußerungen Carneys riefen bei prominenten EU-Gegnern scharfe Reaktionen hervor. Der Zentralbank-Boss habe seine Pflicht zu politischer Neutralität verletzt, empörte sich der Tory-Abgeordnete Jacob Rees-Mogg. Die "spekulativen" Kommentare Carneys seien "weit unter der Würde eines Bank-Gouverneurs" gewesen.
Zentralbank bereit, Milliarden in den Markt zu pumpen
Rees-Moggs Parteikollege Steve Baker, ein Mitglied des Finanzausschusses, fragte Carney direkt heraus, ob er sich von Premier Cameron "unter Druck" habe setzen lassen. Darauf erwiderte Carney, er gebe lediglich "die Ansichten der Bank von England" wieder: "Auf uns hat niemand Druck ausgeübt."
Am Vortag hatte Carney bereits angekündigt, wegen der zu erwartenden Referendums-Turbulenzen auf den Finanzmärkten im Juni habe die Zentralbank zusätzliche Maßnahmen ergriffen. An zwei Tagen vor und an einem Tag nach der Volksabstimmung will die Bank von England bei Bedarf Milliardenbeträge in britische Banken und Bausparkassen pumpen, um die Liquidität der betreffenden Finanzhäuser zu sichern.
Eine ähnliche Maßnahme war schon zu Zeiten des schottischen Unabhängigkeits-Referendums beschlossen, damals aber noch geheim gehalten worden. Bei der Summe, die diesmal zur Verfügung stehe, könne es sich um "hunderte von Milliarden Pfund" handeln, meldete die Londoner "Times" am Dienstag.