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Kontroversen gingen bis vor den Bundesgerichtshof. | Österreichisches Pendant scheiterte an geringem Interesse. | Berlin. Schluss mit lustig - Ferienende - Schulstress. Für Lehrer wie Schüler beginnt gerade wieder der "Ernst des Lebens". Und die Angst vor schlechten Zensuren. Seit zwei Jahren ergreift diese Angst allerdings nicht mehr die Schüler allein, sondern - in ausgleichender Gerechtigkeit - auch die Lehrer. Eine Internet-Plattform in Deutschland sorgt für große Aufregung, ja Empörung, die bis vor den Bundesgerichtshof getragen wurde.
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Einige BWL-Studenten der Kölner Uni hatten sich gefragt, warum man zwar seine Hochschulprofessoren (MeinProf.de) beurteilen durfte, nicht aber seine Schullehrer. So wurde die Idee für "spickmich.de" geboren, ein so genanntes "Communitiy-Portal" für Schüler weiterführender Schulen im Alter von zehn bis 25 Jahren. Im März 2007 ging das Portal online.
Die Idee sogenannter "Rankings" geistert ja schon jahrelang durch die gedruckten und elektronischen Medien. Der beste Urologe, die schlechteste Autobahnraststätte, der zuverlässigste Installateur... Aber "spickmich.de" vergibt regelrechte Noten, von 1 bis 6, mit denen namentlich genannte Lehrer beurteilt werden. Die entsprechenden "Fächer" heißen hier: "cool und witzig", "beliebt", "motiviert", "menschlich", "guter Unterricht" und "faire Noten", "fachlich kompetent", "faire Prüfungen", "gut vorbereitet" und "vorbildliches Auftreten". Wenn mindestens zehn Schüler die Lehrperson bewertet haben, wird aus der Summe der Noten jeweils ein Durchschnitt errechnet und das Gesamtergebnis in Form eines Zeugnisses ins Internet gestellt.
Tür und Tor offen fürrachsüchtige Schüler?
Zunächst scheint dieses Verfahren der Manipulation und dem Rachebedürfnis verärgerter Schüler Tür und Tor zu öffnen. Denn dieser bleibt völlig anonym. Doch bei näherem Hinsehen sind so viele Einschränkungen und Hürden eingebaut, dass man die Aufregung kaum noch verstehen kann.
Der einzelne Schüler muss, um die Plattform überhaupt nutzen zu können, sich mit einer gültigen E-Mail-Adresse anmelden und für eine bestimmte Schule entscheiden. Über diesen Zugang kann er künftig ausschließlich Lehrer dieser Schule bewerten und auch nur die Ergebnisse dieser Schule abrufen. Für Lehrer und Eltern gilt die gleiche Prozedur: Auch sie müssen sich anmelden und können nur die Schule ihrer Wahl einsehen.
Im übrigen bietet "spickmich.de" eine sehr viel breitere Palette an Dienstleistungen an. Da gibt es Wissens-Tests, Chatrooms und Blogs, einen Flirt-Check, Spiele und Lifestyle-Tipps; mit einem Wort: Alles, was das Teenie-Herz begehrt.
Die Lehrerbewertung nach der "spickmich"-Methode ist ziemlich einzigartig. Zwar gibt es einige Vorläufer. Sachsen hat bereits 1999/2000 einen Fragebogen online gestellt, auf dem Schüler die Qualität des Unterrichts bewerten können. Seit 2006 läuft ein wissenschaftliches Projekt der Uni Jena (Thüringen), das sich "Schüler als Experten für Unterricht" (Sefu) nennt und gleichfalls online arbeitet, aber hier werden die Ergebnisse nur mit den Betroffenen diskutiert. Andere haben keinen Einblick. Bei Sefu melden sich Lehrer mit ihrer Klasse an, jeder Schüler erhält ein Kenn- und Passwort und beantwortet im Internet 35 Fragen zur Qualität des Unterrichts: ob der Lehrer den Unterricht interessant gestaltet, ob Gruppenarbeit stattfindet, ob selbständiges Lernen gefördert wird.
"spickmich" fand bald auch Nachahmer, die jedoch übers Ziel schossen: So wählte eine französische Internetgruppe den brutalst-möglichen Weg und stellte die "zehn schlechtesten Lehrer Frankreichs" an den elektronischen Pranger. Die Website musste daraufhin sofort geschlossen werden. Die österreichische "Kronenzeitung" hängte sich gleich 2007 an die Kölner Initiative an und schuf eine analoge Plattform "spickmich.at". Sie wurde jedoch bald mangels Interesse eingestellt.
"spickmich.de" hingegen hat seit heuer seine Feuertaufe hinter sich. Nicht jeder Lehrer lässt sich nämlich die öffentliche Bloßstellung widerspruchslos gefallen. Kein Wunder: Die Physik-Lehrerin eines Gymnasiums in Herborn kommt schlecht weg. Ihre Beliebtheit wird mit der Note 5,5 bewertet - und in den Kategorien "guter Unterricht", "motiviert" und "menschlich" schneidet sie bei den Bewertungen von 22 Schülern kaum besser ab.
Meinungsfreiheit vor Persönlichkeitsrechten
Einige Lehrer möchten die Seite am liebsten sofort schließen lassen. Wie Ulrich Boddenberg, Schulleiter in Köln. "Einige Einträge auf der Seite treten die Persönlichkeitsrechte von Lehrern und Schülern mit Füßen", sagt er. Die Kritik der Schüler trage nicht dazu bei, die Qualität des Unterrichts zu verbessern.
Einer Deutschlehrerin aus Nordrhein-Westfalen wurde es im Sommer 2007 zu viel. Sie hatte einen Schnitt von 4,3. Nicht gerade glänzend. Sie fühlte sich in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt und klagte. Nach dem Scheitern in den zwei ersten Instanzen wandte sie sich an den Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe. Doch das Höchstgericht wertete den Grundsatz der Meinungsfreiheit höher. Mit Urteil vom 23. Juni 2009 hat der für den Schutz des Persönlichkeitsrechts und Ansprüche aus dem Bundesdatenschutzgesetz zuständige Senat die Revision zurückgewiesen. "Unter den Umständen des Streitfalls hat der BGH die Erhebung, Speicherung und Übermittlung der Daten trotz der fehlenden Einwilligung der Klägerin für zulässig gehalten." "spickmich.de" darf also weitermachen.
Inzwischen kommen von Seiten der Politik erste Signale, die den Kölner Studenten Mut machen: In Hessen, Berlin und Nordrhein-Westfalen sind Bestrebungen im Gange, die Lehrerbewertung durch die Schüler ganz offiziell, wenn auch nicht ganz öffentlich, zu etablieren. Und zwar diesmal von amtlicher Seite. Das Schüler-Feedback soll im Gespräch mit den Lehrern zur Verbesserung des Unterrichts genutzt werden.