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"Die Angst ist nie verschwunden"

Von Veronika Eschbacher

Politik
© Stanislav Jenis

Die georgische Außenministerin Panjikidze über das Verhältnis zu Russland, Nato-Ambitionen und das Sowjet-Erbe.


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"Wiener Zeitung": Wie wird die Ukraine-Krise in Georgien wahrgenommen? Werden in Tiflis neue Ängste wach?

Maja Panjikidze: Ich würde sagen, die Angst ist nie verschwunden. 20 Prozent unseres Landes sind von Russland okkupiert - da kann man nicht ruhig schlafen. Es gibt immer wieder kleinere und größere Provokationen an der Okkupationslinie - Menschen werden entführt, Stacheldrahtzäune werden weiter gebaut, der Luftraum verletzt. Von Ruhe kann man nicht sprechen, aber die Lage ist mehr oder weniger stabil.

Wie steht es um die russisch-georgischen Beziehungen?

Wir arbeiten daran, eine bessere Beziehung mit Russland aufzubauen. Dass das geht, versuchen wir jeden Tag zu beweisen. Wir sind kurz davor, das Assoziationsabkommen mit der EU zu unterzeichnen - und haben gleichzeitig die Beziehungen mit Moskau mehr oder weniger normalisiert. Wir sind natürlich weit entfernt von einer Lösung des Konflikts, aber wir haben die Wirtschaftsbeziehungen wiederhergestellt, mehr kulturelle und humanitäre Kontakte oder haben etwa auch während der Olympischen Spiele in Sotschi in Sicherheitsfragen zusammengearbeitet. Das war alles möglich. Wir wollen zeigen, dass unsere westliche Orientierung nicht gegen Russland gerichtet ist, sondern für das Land gut ist. Von einem entwickelten und stabilen Georgien profitiert auch Russland.

Haben Sie Zeichen, dass diese Meinung auch in Moskau geteilt wird?

Vielleicht ist das, was ich sage, eine Idealvorstellung. Es ist aber sicher etwas Vernünftiges und etwas, das alle in der westlichen Welt unterschreiben würden. Und wenn viele so denken, dann wird diese Erkenntnis auch irgendwie und irgendwann in Russland ankommen.

Georgien will bekanntlich in die Nato. Was sind Ihre Erwartungen für den Nato-Gipfel im Herbst? Kann man diese angesichts der aktuellen Krise noch ausdrücken?

Auf jeden Fall. Am Nato-Gipfel 2008 in Bukarest wurde gesagt, dass Georgien Mitglied wird. In Chicago vor zwei Jahren wurde gesagt, dass Georgien - als Test für die demokratische Entwicklung des Landes - noch zwei Wahlen durchzuführen hat. All das ist bereits erfüllt. Daher dürfte der weiteren Integration nichts mehr im Wege stehen. Wie dieser weitere Schritt aussieht, das ist etwas, worüber gerade innerhalb der Nato diskutiert wird, und auch mit uns. Da kann man aber noch nichts Konkretes sagen. Ich bin aber sicher, dass der Progress, den wir erreicht haben, adäquat reflektiert werden wird.

In Bezug auf die Ukraine-Krise wird oft kritisiert, dass Russland nur ungenügend in die Verhandlungen zwischen EU und der Ukraine einbezogen war. Gibt es einen Dialog zwischen Tiflis und Moskau über das anstehende Assoziierungsabkommen EU-Georgien, das im Juni unterzeichnet werden soll?

Was im Assoziierungsabkommen steht, ist kein Staatsgeheimnis. Den Text kann man sich online ansehen. Ich teile die Kritik nicht, dass Russland nicht ausreichend einbezogen gewesen wäre. Es gab viele verschiedene Beziehungs-Formate mit Russland - über die EU, von einzelnen Ländern, über die G8 oder den Nato-Russland-Rat - also viele Foren, in denen Russland Ängste und Bedenken äußern konnte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand von der anderen Seite die Aussage verweigerte. Daher braucht es keine besonderen Debatten darüber, was in dem Abkommen steht. Aber leider geht es hier weniger um wirtschaftliche Bindungen, sondern mehr um politischen Einfluss. Es geht um den Verlust der Einflusszone. Es ist aber falsch, in Einflusszonen zu denken.

Halten Sie die Forderungen, die Moskau an Kiew stellt - etwa Bündnisfreiheit, eine Verfassungsänderung -, für legitim?

Jedes unabhängige Land darf selber entscheiden, ob es neutral sein will, in einem Bündnis sein will oder was auch immer. Über diese Freiheit verfügt die Ukraine momentan nicht. Und das ist die größte Tragödie. Wenn die Ukrainer sich morgen entscheiden, eine Union mit Mars-Männchen einzugehen, muss man das respektieren. Das ist das Einzige, was wir für uns beanspruchen.

Hat die EU bisher in der Ukraine-Krise gegenüber Moskau zu sanft gehandelt?

Dieses Sanfte ist ja das, was uns reizt, und das, warum wir nach Europa wollen. Hier wird mit Mitteln Politik gemacht, die für die Menschen überall annehmbar sind. Diese Werte erlauben gleichzeitig keine andere Gangart. Zu diesen Werten gehört wohl auch die Naivität zu glauben, das gut Gemeinte wird auch gut verstanden.

Die EU torpediert ihre Strategie aber auch selbst, wenn etwa Mitgliedsländer wie Österreich - inmitten der Sanktionen gegen Russland - Absichtserklärungen über Gaspipelines mit der russischen Gazprom unterzeichnen, die die Ukraine umgehen. Ist das hilfreich?

Eine einheitliche und strenge Politik ist immer hilfreicher, als wenn man sich verzettelt. Österreich wird seine Beweggründe haben, warum es so handelt. Von uns aus ist das Verhältnis mit Österreich aber gut, es gibt keine offenen Fragen. Wir haben die politische Unterstützung Wiens in allen EU-Fragen. Ich hatte im Zuge dieses Besuchs mein erstes Treffen mit Außenminister Sebastian Kurz, er versprach, im Herbst mit einer Wirtschaftsdelegation nach Georgien zu kommen. Das ist ein klares Zeichen.

Während in der Ukraine die Lenin-Statuen purzeln, wird in Russland die Sowjetzeit zunehmen wieder positiv dargestellt. Wie geht man in Georgien mit dem Sowjeterbe um?

Es ist nichts mehr davon übrig. Es gibt auch keine einzige Lenin-Statue mehr - wenn auch einige Stalin-Statuen. Aber das hat einen ganz anderen Grund, das wird nicht als Sowjeterbe angesehen. Ich habe auch schon lange keinen Homo sovieticus mehr getroffen. Aber wir haben es auch während der 70 Jahre innerhalb der Sowjetunion schafft, uns unsere Individualität zu erhalten.

Das Interview wurde gemeinsam mit "Presse" und "Kurier" geführt.

Maja Panjikidze ist seit Oktober 2012 Außenministerin von Georgien.
Zuvor war die Karrierediplomatin Georgiens Botschafterin in Deutschland
und den Niederlanden.