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Die Angst legt eine Pause ein

Von Birgit Svensson

Politik

Unicef fordert Einlösung der Zusagen für Flüchtlingshilfen aus dem Ausland ein.


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Amman. Jordanien atmet auf. Seitdem Russen und Amerikaner sich geeinigt haben und ein Militärschlag gegen Syrien aufgeschoben ist, herrscht in der Hauptstadt Amman vorsichtiger Optimismus, dass die Welle der Gewalt nicht auch auf Jordanien überschwappt. "Wir hatten Angst", sagt Haytham, "dass ein Militärschlag auch uns in den Krieg hineinziehen wird". Syriens Machthaber Bashar al-Assad habe dies kürzlich im Fernsehen angedroht: Wenn der Westen Syrien angreife, bliebe auch Jordanien nicht verschont. "Assad spucke zwar oft große Töne", kommentiert der Jordanier die Rede aus Damaskus. Aber die Gefahr eines Flächenbrands wäre dann schon real. Haytham, der für eine chinesische IT-Firma im Nahen Osten mit Sitz in Amman arbeitet, ist jedenfalls froh, "dass wir eine Verschnaufpause bekommen haben".

Dass die Bedrohung durch die Lage in Syrien für Jordanien realistisch sei, glaubt auch Regierungssprecher Ayman Arabeyat. Erst kürzlich habe man wieder Waffentransporte an der syrischen Grenze nach Jordanien abgefangen, begründet er seine Aussage. Seit Juni würden regelmäßig Waffen von Syrien nach Jordanien geschmuggelt. Arabeyat sieht die Drahtzieher eindeutig beim Assad-Regime. "Die Rebellen wollen doch Waffen nach Syrien importieren, nicht exportieren", folgert er. Für ihn ist der Schuldige klar und sitzt im Regierungspalast in Damaskus. Dass Dschihadisten vom Schlage Al Kaidas, die in Syrien operieren, vielleicht auch die Destabilisierung des Regimes in Amman mit Waffengewalt im Sinn haben, will der Regierungssprecher nicht gelten lassen. Die eindeutige Positionierung der jordanischen Regierung ist neu, hat sie bislang doch geflissentlich auf eine Bewertung des Konflikts in Syrien verzichtet.

Dabei müssten dringend auch andere Verdächtige in Betracht gezogen werden, die dem Regime in Amman schaden wollen. Denn bereits Ende 2005 gab es in der jordanischen Hauptstadt drei verheerende Bombenanschläge auf Hotels mit 67 Toten. Damals tobte beim Nachbarn Irak ein Bürgerkrieg. Al Kaida kämpfte mit irakischen Widerständlern gegen die US-Truppen und übernahm auch die Verantwortung für die Anschläge beim Nachbarn Jordanien. Der Anführer der Terrorzelle im Irak, Abu Mussab al Zarkawi, stammte aus Zarka, einer Stadt nordöstlich von Amman. Im Oktober letzten Jahres verhinderten jordanische Sicherheitskräfte offenbar weiteren Terror in Amman. Elf Männer wurden festgenommen, die angeblich Anschläge geplant hatten. Die Männer sollten Waffen, Munition und Sprengstoff aus dem Nachbarland Syrien eingeschleust haben.

Experte: "Erkaufte Ruhe"

Ein Militärschlag der USA und westlicher Verbündeter wäre Wasser auf die Mühlen der radikalen Islamisten. Das Königshaus in Jordanien gilt als westlich orientiert. Viele westliche Organisationen haben sich schon seit dem Irak-Krieg im sicheren Amman niedergelassen. Auch die Vereinten Nationen haben ihr Hauptquartier für die Region hier. Beobachter sind sich einig: Der Bürgerkrieg in Syrien stellt die größte Gefahr für Jordaniens Herrscher, König Abdullah, dar. Bei einem gemeinsamen Manöver von Amerikanern und den jordanischen Streitkräften im Juni ließen die US-Truppen vorsichtshalber ihre Luftabwehrraketen zum Schutz Jordaniens zurück.

Bisher habe sich Jordanien die Ruhe erkauft, erklärt Ralf Erbel, Chef der deutschen Friedrich-Naumann-Stiftung für den Mittleren Osten mit Sitz in Amman, die wenigen Demonstrationen, die es im Zuge des Arabischen Frühlings in dem Land gab. Der König versprach Reformen, löste das Parlament auf und ließ Neuwahlen abhalten. Die anfangs erhobenen Forderungen nach einer konstitutionellen Monarchie verstummten aber bald. "Es gibt eine eindeutige Absprache in der Region", so Erbel. "Ein arabischer Monarch darf nicht gestürzt werden!" Das lassen sich die anderen Monarchien im Nahen Osten einiges kosten. Fonds mit vier bis fünf Milliarden Dollar wurden aufgelegt und für Jordanien bereitgestellt, um Aufmüpfige zu beruhigen. Jordanien habe seine geostrategische Bedeutung verkauft. "Ohne diese Zuwendungsgeber wäre Jordanien nicht existent."

Doch dann kamen die syrischen Flüchtlinge, ein weiterer Destabilisierungsfaktor. 560.000 sind bislang offiziell registriert, tatsächlich sind es wohl 700.000. Damit haben die kleinen Länder Jordanien und Libanon die meisten Menschen aufgenommen. Laut Dominique Hyde, Chefin von Unicef für Jordanien, sind 60 Prozent der Flüchtlinge Kinder unter 18 Jahren. Vier Millionen Liter Wasser benötigt Unicef täglich, um die Versorgung der Flüchtlinge zu gewährleisten. "In einem Land, das selbst kein Wasser hat", sagt Hyde. Jordanien zählt zu den wasserärmsten Ländern der Erde. Natürlich sei das Land auf Hilfsgelder der internationalen Gemeinschaft angewiesen, um die Flüchtlingslast zu schultern. Doch noch 37 Prozent der zugesagten Summen stünden aus.

Hyde beschreibt eine dramatische Situation, wenn die Mittel nicht bis zum Monatsende eintreffen. "Wir können dann keine Pampers mehr für die Säuglinge verteilen, keine Seifen kaufen und müssten Projekte für die Abwasserentsorgung verschieben. Auch die Schulversorgung könnte dann nicht ausgeweitet werden." Eigentlich sollen 180.000 syrische Kinder zur Schule gehen, die Kapazitäten reichen nur für 40.000. Eine weitere Flüchtlingswelle aufgrund eines Militärschlags wäre nicht mehr zu verkraften.