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Die Angst siegte

Von Alexander Dworzak

Politik

Die Dänische Volkspartei instrumentalisierte geschickt die Flüchtlingskrise und die Furcht vor Fremdbestimmung gegen eine weitere EU-Integration.


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Kopenhagen/Wien. Noch vor vier Monaten sah alles nach einer klaren Sache für das Ja-Lager aus: 58 zu 22 Prozent betrug der Vorsprung der Befürworter, dass Dänemark einige seiner Sonderrechte in der EU abtritt. Als Donnerstagnacht das Endergebnis über die Monitore flimmerte, war die Kehrtwende besiegelt: 53 Prozent der Bürger votierten schließlich mit Nein.

Am rechten und linken Ende des im Parlament vertretenen Parteienspektrums jubelten die Dänische Volkspartei (Dansk Folkeparti, DF) beziehungsweise die Rot-Grüne-Allianz über das Ergebnis - zwar aus teils identischen Gründen, aber unter anderen Voraussetzungen. Im Gegensatz zur kleinen Allianz stützt die DF die Minderheitsregierung der rechtsliberalen Venstre von Premier Lars Lökke Rasmussen. Schon bei der Parlamentswahl im Juni wurde die DF mit 21 Prozent der Stimmen zweistärkste Partei. Sie forderte damals eine weitere Verschärfung der Zuwanderungsgesetze. Auch fuhr Parteichef Kristian Thulesen Dahl im Fahrwasser des britischen Premiers David Cameron einen betont EU-skeptischen Kurs. Im Zuge der Flüchtlingskrise verschärfte die Partei in den vergangenen Monaten nochmals ihre Rhetorik, und sie nutzte das mangelhafte Krisenmanagement unter den EU-Staaten, um gegen die Union zu wettern. Die für die Regierung ungünstige politische Großwetterlage verknüpfte die DF geschickt mit einer dänischen Urangst, jener vor Fremdbestimmung.

Vier Sonderwege, sogenannte "Opt-outs", hat sich das skandinavische Land ausbedungen, da die Bürger 1992 den Vertrag von Maastricht zur Gründung der EU abgelehnt hatten: bei Währung, Verteidigung, Justiz und Innerem. Wie wichtig den Dänen ihre Eigenständigkeit ist, zeigten sie auch 2000, als sie den Euro ablehnten. Bis heute wird mit Kronen gezahlt, auch wenn deren Wert praktisch an jenen des Euro gekoppelt ist.

Nun machte die Regierung im Verbund mit den oppositionellen Sozialdemokraten, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften den folgenschweren Fehler, eine EU-Integration in den Bereichen Justiz und Inneres durch die Hintertür einleiten zu wollen: Vordergründig ging es bei der Volksabstimmung zwar darum, das Verhältnis zur EU-Polizeibehörde Europol auf neue Beine zu stellen. Nicht einmal die DF hätte etwas dagegen gehabt. Doch wer für ein Ja stimmte, votierte auch für 22 europäische Rechtsakte, die ebenfalls in Dänemark gelten sollten. Plötzlich ging es auch um Erb- und Sorgerecht oder Cyberkriminalität. Noch weitreichendere Konsequenzen hätte der Wechsel zu einem "Opt-in"-System bedeutet. Dänemarks Parlament hätte damit entscheiden können, welche Beschlüsse es künftig aus Brüssel übernehmen würde - ohne die Bürger vorher zu befragen.

Diese waghalsige Strategie des Ja-Lagers, verbunden mit einer komplexen Materie, nutze die DF aus. Sie unkte, die EU könnte Dänemark womöglich eine Quote zur Verteilung von Flüchtlingen oktroyieren. Sie malte damit das Szenario an die Wand, Asyl- und Ausländerpolitik könnten künftig von Brüssel bestimmt werden. Dabei stand das gar nicht zur Debatte. Premier Rasmussen konnte noch so oft beteuern, dafür müsste es eine gesonderte Volksabstimmung geben und dieses Versprechen gelte "bis die Sonne ausbrennt": Das Argument zog nicht, die Verunsicherung der Wähler war zu groß, das Vertrauen den Großparteien entzogen.

Eher glaubten die Bürger DF-Chef Thulesen Dahl, der sagte: "Wenn man die Dinge Brüssel überlässt, ist man zu großen Teilen einem intransparenten System ausgeliefert, in dem wir viel von unserer Demokratie verlieren." Neben den DF-Sympathisanten haben rechts der Mitte auch jene der Christdemokraten und der Liberalen Allianz mehrheitlich mit Nein gestimmt. Aber auch links argumentierte man mit EU-Demokratiedefiziten und erreichte so bei Anhängern der Rot-Grünen-Allianz, der Sozialistischen Volkspartei und "Der Alternative" eine Nein-Mehrheit. Sogar vier von zehn sozialdemokratischen Wählern folgten nicht der Parteilinie.

Premier Rasmussen muss nun die Scherben aufklauben. Kommende Woche trifft er EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und EU-Ratspräsident Donald Tusk. "Die Regierung hat ein starkes Interesse daran, dass Dänemark mit Europol weitermacht", sagte Dänemarks Justizminister Sören Pind. Organisierte Kriminalität, Schmuggel und Terrorismus müssen grenzüberschreitend bekämpft werden, ist allen klar. Mit dem Nein-Votum wird aber die Zusammenarbeit der dänischen Polizei mit Europol eingeschränkt. Dass man einfach ein Europol-Sonderabkommen zwischen der EU und Dänemark schmieden kann, wie die DF suggeriert, ist aber ein hehrer Wunsch. Die Zeit drängt, bereits am 1. April 2017 nimmt die neu formierte Behörde ihre Arbeit auf.

Nächster Kandidat Finnland

Trotz des europapolitischen Grabens zwischen Venstre und ihrem Mehrheitsbeschaffer DF sind innenpolitisch keine großen Änderungen zu erwarten. Doch hat das Votum Strahlkraft nach außen: In Finnland muss das Parlament im kommenden Jahr über den Euro-Austritt diskutieren, nachdem mehr als 50.000 Bürger dies einforderten. Finnland ist das einzige Mitglied der Währungsunion in Nordeuropa, die Wirtschaftsleistung ist seit 2008 allerdings um sechs Prozent geschrumpft. Jedoch beruht Finnlands Krise auf zwei großen Faktoren: Nokias Niedergang und jenem der Papierindustrie. Noch ist dieses Argument deutlich stärker als die Euro-Kritik. Doch wer weiß, ob nicht auch in Finnland ein Stimmungswandel eintritt.