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Die Angst vor Anschlägen bleibt

Von Bernd Vasari

Politik

Die Glaubensgemeinschaft ist gespalten und verunsichert.


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Wien. Am 24. Mai 2009 war der Shri Guru Ravidass Sabha Tempel in der Wiener Pelzgasse Schauplatz einer religiösen Auseinandersetzung mit tödlichem Ausgang. Während des Gottesdienstes attackierten sechs Sikhs zwei Ravidass-Prediger mit zwei Messern und einer Pistole. Sant Rama Nand wurde getötet und Sant Niranjan Dass schwer verletzt. Der Vorfall schlug hohe Wellen, die über Österreichs Grenzen hinausgingen. Neben einem enormen internationalen Medienecho kam es im indischen Bundesstaat Punjab, der Heimat der meisten Sikhs und Ravidass, zu blutigen Ausschreitungen und Ausgangssperren.

Der Turban gehört wie Dolch und ungeschnittenes Haar zum religiösen Regelwerk der Sikhs.
© © Christopher Pillitz/In Pictures/Corbis

Mittlerweile sind mehr als drei Jahre vergangen, die Täter wurden bereits verurteilt: der Mörder zu lebenslanger und zwei Mittäter zu 18 beziehungsweise 17 Jahren Haft. Dennoch weist die sonntägliche Polizeipräsenz vor dem Tempel im 15. Wiener Gemeindebezirk darauf hin, dass die Gefahr weiterer Anschläge gegeben ist. Nach Informationen der zuständigen Polizeiinspektion Westbahnhof wird sich daran auch in näherer Zukunft nichts ändern. Der Polizeischutz bleibt bis auf Widerruf jeden Sonntag von 11 Uhr bis 15 Uhr erhalten.

Willkommen - ohne Waffen

Balvinder Kumar, Obmann des Ravidass-Tempels, findet das auch gut so. Gegenüber der "Wiener Zeitung" erzählt er, dass die Gemeinde weiterhin Angst vor möglichen Attentaten hat. Diese könnten aber auch von Nicht-Sikhs ausgehen. Er verweist auf den jüngsten Anschlag im August, wo ein Mann in den USA in einem Sikh-Tempel sechs Menschen getötet hat. Es gebe genügend "dumme Leute", die aus Hass gegenüber anderen Religionen zum Äußersten greifen könnten, sagt er. Viele bringen die Religionen auch durcheinander. Der Täter in den USA glaubte, dass die Sikhs wegen ihrer langen Bärte und ihrem Turban Taliban wären, erzählt Kumar. Vielleicht sei er auch im Krieg in Afghanistan gewesen und deshalb traumatisiert. Ein Problem sei die oftmals niedrige Toleranz von Gläubigen gegenüber anderen Religionen. Der Obmann kritisiert Personen, die jemandem eine andere Religion aufzwingen wollen. "Das ist doch wie in einer Diktatur. Wir sind aber für die Demokratie." In erster Linie komme es auf die Menschlichkeit an.

Deshalb wird seit dem Attentat jeden ersten Sonntag nach dem 24. Mai ein Friedensfest in der Pelzgasse veranstaltet. "Wir leben alle auf dieser Welt. Jeder Mensch soll die Religion ausüben, die er will. Der Ravidass-Tempel steht für alle Menschen offen, aber ohne Waffen", betont er. Sikhs kamen seit dem Attentat keine mehr vorbei. Wenn man sich auf der Straße sieht, grüßt man einander zwar, sonst habe man aber keinen Kontakt, meint Kumar. Er wartet bis heute auf eine Entschuldigung von Seiten der Sikhs.

Die österreichische Sikh-Community verurteilte den Anschlag in einem offenen Brief und sprach den Opfern ihr Beileid aus. Im Gegensatz zu Balvinder Kumar stuft Gurbhaj Singh, Obmann des Sikh-Tempels "Gurdwara Guru Nanak Parkash" im 22. Wiener Gemeindebezirk, die Beziehung zu den Ravidass als normal ein. Es gäbe auch keine Berührungsängste: "In unseren Tempel in der Langobardenstraße kommen immer wieder Mitglieder der Ravidass-Gemeinde." Das sei nicht weiter ungewöhnlich.

Hintergrund der Attacke waren unterschiedliche Anschauungen in der Religionsauslegung des Sikhismus. Die spirituellen Ravidass-Führer erfahren durch ihre Gemeinde mehr Respekt und sind höher gestellt als das Heilige Buch "Guru Granth Sahib". Dies stellt für strenggläubige Sikhs eine Provokation ihres Glaubensverständnisses dar, da sie das Heilige Buch als höchsten Guru verehren.

Lockere Regeln

Der Sikhismus wurde im 15. Jahrhundert von Guru Nanak in Indien gegründet. Gobind Singh, der zehnte Guru nach Nanak, beendete die Tradition der aufeinanderfolgenden menschlichen Gurus und ernannte das Heilige Buch zu seinem ewigen Nachfolger. Das Buch enthält die Lehren der zehn Gründerväter, die als Grundlage des Sikhismus dienen. Einer dieser Gründerväter ist Satguru Ravidass Ji, der wichtigste Prophet der Ravidass. Nach dem Wiener Attentat spalteten sich die Ravidass von den Sikhs ab und das Heilige Buch "Guru Granth Sahib" wurde an die Sikhs retourniert. Seither dient das mit den wichtigsten Versen von Satguru Ravidass Ji ausgestattete "Amrit Bani Satguru Ravidass Ji" als Heiliges Buch. Die typischen Merkmale der Sikhs wie etwa Turban, Dolch und ungeschnittenes Haar an allen Körperteilen gehen auf die fünf K-Regeln zurück, an die sich jeder Gläubige halten muss. Bei den Ravidass herrscht ein eher lockerer Umgang mit diesen Regeln. Die meisten verzichten auf Dolch, Turban oder langes Haar. Regen Zulauf erhält die Glaubensgemeinschaft von Dalits, Personen, die im indischen Kastenwesen auf der untersten Stufe stehen. Sie werfen den Sikhs vor, nichts gegen das Kastensystem zu unternehmen und Dalits zu diskriminieren.

Verstärkt durch den Anschlag und die folgende negative mediale Berichterstattung gibt es in der Mehrheitsgesellschaft eine negative Sichtweise auf beide Glaubensgemeinschaften. Die Anhänger sind deswegen noch immer verunsichert. Nach Angaben der Medienservicestelle Neue Österreicher/innen leben in Österreich etwa 8000 bis 10.000 Sikhs und 4000 bis 5000 Ravidass. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern sind bis heute weder der Sikhismus noch die Ravidass als Religionsgemeinschaft in Österreich anerkannt.