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Die Angst vor dem ägyptischen Schicksal

Von Ronald Schönhuber

Politik

Acht Jahre nach dem Arabischen Frühling sind in Algerien und im Sudan zwei Langzeitmachthaber durch Massenproteste hinweggefegt worden. Diesmal wollen die Demonstranten aber verhindern, dass das Militär die Revolution vereinnahmt.


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Khartum/Algier. Wie entschlossen die überwiegend jungen Protestteilnehmer in Khartum sind, ist schwer zu übersehen. Seit mehr als einer Woche harren sie nun schon vor dem Armeehauptquartier in der sudanesischen Hauptstadt aus, um für die Übergabe der Macht zu demonstrieren. Nicht das Militär, das nach der Absetzung von Omar al-Bashir nun bereits den zweiten Nachfolger des autokratischen Langzeitmachthabers installiert hat, soll künftig die Geschicke des Landes bestimmen, sondern eine zivile Regierung.

Den Wind aus den Segeln haben sich die Demonstranten dabei weder durch die bisherigen Zugeständnisse des Militärs nehmen lassen noch durch Einschüchterungsversuche oder Gewalt. Als die Armee, die zu Beginn der Proteste noch als großer Hoffnungsträger galt, am Montag mit schwerem Gerät anrückte, um die um das Protestcamp errichteten Barrikaden abzubauen, bildete sich in wenigen Minuten ein großer Ring aus sich an den Händen haltenden Menschen. "Freiheit, Freiheit" und "Revolution, Revolution" schallte es dabei über den Platz.

Die Entschlossenheit der Demonstranten, der bedingungslose Wunsch nach einem Systemwechsel, ist aber nicht nur im Sudan zu beobachten. So gehen in Algerien nach dem Sturz des greisen Langzeitmachthabers Abdelaziz Bouteflika noch immer hunderttausende Menschen auf die Straße, weil sie fürchten, dass sich bei den für 4. Juli angesetzten Wahlen das alte Regime im neuen Gewand erneut die Macht sichern könnte. Auch in Marokko und in Jordanien gibt es immer wieder Demonstrationen gegen die staatliche Führung.

Die Bilder der Proteste erinnern dabei stark an den Jänner 2011: In der ägyptischen Hauptstadt Kairo standen damals hunderttausende Menschen auf dem Tahrir-Platz und forderten den Sturz des Regimes von Hosni Mubarak. Kurz davor waren schon in Tunesien zehntausende junge Menschen auf die Straßen gegangen und hatten damit den Sturz von Zine el-Abidine Ben Ali nach knapp 23 Jahren an der Macht eingeleitet.

Die verspätete Revolution

Dass sich der Unmut der Menschen in Algerien, Marokko, Jordanien und im Sudan erst jetzt und nicht schon 2011 entladen hat, kommt für viele Experten überraschend. Denn die hinter den Protesten steckenden strukturellen Probleme sind in vielen Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens ähnlich. So ist die Bevölkerung in den meisten Staaten sehr jung. Trotz einer mitunter guten Ausbildung gibt es in den mit vielen wirtschaftlichen Problemen kämpfenden Staaten aber kaum Jobs und Perspektiven für junge Menschen. Geld und politische Macht teilen sich korrupte Politiker, einflussreiche Offizierscliquen und einzelne Wirtschaftsgrößen auf. "Das alles sind allerdings Probleme, die schon 2005 flächendeckend festgestellt wurden", sagt der Politikwissenschafter André Bank vom Giga- Institut für Nahost-Studien gegenüber der Deutschen Presseagentur. Viele der nun von Protesten betroffenen Länder seien daher eigentlich schon früher "reif für Revolutionen" gewesen.

Ob der verspätete Arabische Frühling ein anderes Ende als die gescheiterten Revolutionen in Ägypten, Libyen und Syrien findet, ist derzeit allerdings kaum absehbar. So hat das sudanesische Militär bei der Absetzung von Bashir ganz ähnlich gehandelt wie das ägyptische Militär, dem es in den Jahren nach 2011 gelungen war, den Aufstand völlig für die eigenen Interessen zu vereinnahmen: Die Streitkräfte hielten sich in Khartum geduldig gegenüber den Demonstranten zurück, um sich dann, als der wankende Präsident nicht mehr zu halten war, nicht nur als Vollstrecker des Volkswillens, sondern auch als Stabilitätsgarant zu präsentieren. So sollte nach den ursprünglichen Plänen der Armee ein Militärrat in den nächsten zwei Jahren den Sudan regieren.

Ein Potentat ist zu wenig

Doch nicht nur die Militärs haben ihre Schlüsse aus den Ereignissen des Arabischen Frühlings gezogen, sondern auch die Demonstranten und Oppositionspolitiker in Algerien und im Sudan. Ihnen ist nur allzu bewusst, dass die Figuren an der Spitze lediglich der sichtbare Teil eines weitreichenden und miteinander klüngelnden Machtapparats sind, der nicht dadurch verändert wird, dass zwei oder drei Potentaten in der ersten Reihe gegen neue Gesichter getauscht werden. Und entsprechend massiv stellen sich die Demonstranten bisher auch gegen jegliche Beschwichtigungsversuche seitens der Militärs. So will die sudanesische SPA, eine Gewerkschaftsbewegung, die zur Speerspitze der Demonstrationen avanciert ist, die Proteste so lange aufrechterhalten bis das Militär die Macht an eine Zivilregierung übergeben har. Der Unterstützung der Menschen im Protestcamp vor dem Armeehauptquartier in Khartum kann sich die SPA dabei wohl sicher sein. "Entweder wir siegen oder wir werden wie Ägypten", wird dort schon seit Tagen skandiert.