Zum Hauptinhalt springen

Die Angst vor dem autoritären Staat

Von Ritt Goldstein

Politik

Schmerzhaft sind die Erinnerungen vieler Bewohner der ehemaligen DDR an das frühere ostdeutsche Ministerium für Staatssicherheit, Stasi. Eine Armee von Agenten hat die Bevölkerung mit diversen elektronischen Überwachungsmethoden und einem Netzwerk von zivilen Informanten eingeschüchtert. In der ehemaligen DDR waren Schätzungen zufolge allerdings "nur" 1 bis 2,5 Prozent der Bevölkerung Spitzel. In den USA soll ein Programm gestartet werden, das bis zu 4 Prozent der Einwohner rekrutieren könnte.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 22 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Bereits im Oktober 2001, als der US-Präsident George W. Bush den sogenannten "USA Patriot Act" unterzeichnete, warnten Bürgerrechtsgruppen vor der nun möglichen Missbrauch umfassender Überwachung von amerikanischen Bürgern. Die Gruppen zeigten sich auch besorgt, dass Mechanismen, die gegen solchen Missbrauch schützen, eingeschränkt werden könnten. Laura Murphy vom Washingtoner Büro der Amerikanischen Union für Bürgerrechte (ACLU) klagt an, dass "der 'Patriot Act' der Exekutive im gesamten Bundesgebiet außergewöhnliche neue Rechte und Befugnisse einräumt, für die es keine wirkliche rechtliche Überprüfung gibt".

Mit dem Programm "Terrorinformation und -vorbeugung" (TIPS) soll nun ein nationales Netzwerk aus Freiwilligen entstehen, die "Training, Unterlagen und eine Autorisation erhalten werden, um verdächtige Aktivitäten der nächsten FBI- Nebenstelle zu melden". So wie der "Patriot Act" wird auch TIPS als Teil des Krieges der USA gegen den Terror in Kraft treten. Es ist ein Projekt des Justizministeriums, welches für das FBI zuständig ist.

Ist jede Putzfrau als Spion glaubwürdig?

Um die Reichweite des Überwachungsnetzwerkes zu erhöhen werden TIPS-Freiwillige vor allem aus Berufsfeldern rekrutiert, die Zugang zu Häusern, Büros und Lieferservices haben. Brief- und Paketbeförderer, Reinigungs- und Wartungspersonal, Lastwagenfahrer und Zugsführer sind unter jenen, die als bevorzugte Rekruten genannt wurden.

Das Pilotprogramm soll im August in zehn Städten in den USA starten. Eine Million Informanten sollen in dieser ersten Phase beteiligt sein. Wenn man davon ausgeht, dass dafür die zehn größten Städte gewählt wurden, dann kommen eine Million Informanten auf eine Einwohnerzahl von 23.866.236 Menschen (Zählung von 2000), oder einer pro 24 Menschen.

In der Geschichte waren Informantensysteme die Werkzeuge von nicht-demokratischen Staaten. Einer Studie des Rechtsprojekts der Harvard Universität aus dem Jahr 1992 zu Folge ist die Zuverlässigkeit von Informantenberichten problematisch, da einige die "Wahrheit verschönert haben" andere sollen "ihren Bericht vollkommen erfunden haben". Die Akten der Stasi und ähnlicher Gruppen wurden deshalb als "lautlose Zeugen der Unterdrückung" bezeichnet, mit der ganze Bevölkerungsgruppen leben mussten.

Nach der derzeitigen Vorgehensweise des Justizministeriums werden Berichte von Informanten in Datenbanken eingetragen und für spätere Einsichtnahme oder durchzuführende Maßnahmen gespeichert. Die eingegebenen Informationen werden dann im gesamten Justizministerium, in vernetzten Behörden und in regionalen Polizeidienststellen eingesehen werden können. Die im Bericht genannte Zielperson soll weder über die Existenz des Berichtes, noch über seinen Inhalt informiert werden.

Schon unter Reagan für Unruhen im Land gewappnet

Die regionale und staatliche Koordinierung von TIPS erfolgt auf einer nationalen Basis durch die Federal Emergency Management Agency (FEMA). Sie wird normalerweise mit der Koordinierung von Einsätzen nach Naturkatastrophen in Verbindung gebracht, ist aber auch für Unruhen innerhalb der Staatsgrenzen zuständig. Als ein Teil der Maßnahmen, die der frühere US-Präsident Ronald Reagan für die Nationale Sicherheit setzte, wurde FEMA mit weit reichenden Befugnissen während einer Staatskrise ausgestattet.

Mit dieser Ermächtigung hat FEMA bereits in den vergangenen Jahren Übungseinsätze mit dem Verteidigungsministerium geprobt, um auf die Ergreifung und Inhaftierung von Ausländern und sogenannten Radikalen vorbereitet zu sein. Die Aufgegriffenen sollten in Internierungslager auf dem Land gebracht werden.

Diese Pläne wurden geschmiedet, während die Reagan Verwaltung die Invasion von Nikaragua plante. Der Gedanke hinter den Übungen war, die Fähigkeiten des Militärs im Hinblick auf zu erwartenden "gewalttätigen und umfassenden Widerstand im eigenen Land zu einer militärischen Invasion der USA auf fremdem Gebiet" zu testen.

Notfallplan sah Umgehung des Kongresses vor

Viele der Schlüsselfiguren der Reagan-Ära sind auch Teil der heutigen Verwaltung. Ihre genaue Rolle in der Ausarbeitung von Initiativen zur Nationalen Sicherheit sowie die vollständigen Fakten zu den Initiativen selbst bleiben im Dunkeln. Präsident George W. Bush hat Ende letzen Jahres Reagans Präsidentschaftspapiere versiegeln lassen - eine ungewöhnliche Maßnahme.

Die Schaffung einer US- "Schattenregierung", die im G-eheimen operieren sollte, war auch Teil des Reagan Planes zur Nationalen Sicherheit. Die Existenz dieser zweiten Regierung wurde vor kurzem von der "Washington Post" enthüllt. Präsident Bush erklärt die Maßnahme damit, dass im Falle einer Terrorattacke die Regierung weiter bestehen müsse.

Die Sicherheitsvorkehrungen beinhalteten auch den umstrittenen Plan, im Ernstfall die Verfassung auszusetzen und das Kriegsrecht zu erklären. Die Kontrolle sollte an den Präsidenten der USA und an FEMA übergeben werden, der Kongress sollte übergangen- werden.

Die "Washington Post" berichtete außerdem, dass der US- Kongress vorher nicht über die Existenz der "Schattenregierung" informiert war. Die derzeitige Rechtslage sieht jedoch vor, dass der Sprecher des Unterhauses, gefolgt vom Senatspräsidenten, die US-Präsidentschaft übernimmt, sollten sowohl der Präsident als auch der Vizepräsident nicht in der Lage sein, ihr Amt auszuüben. Sollte die Verfassung also tatsächlich ausgesetzt und der Kongress übergangen werden, ist die Nachfolgefrage des Präsidenten ungeklärt.

Zur Zeit der Reagan-Administration, als die genannten Maßnahmen zur Nationalen Sicherheit überlegt wurden, hat der Generalstaatsanwalt William French Smith dem Nationalen Sicherheitssprecher Robert McFarlane seine Bedenken mitgeteilt. Dem "Miami Herald" zu Folge schrieb Smith im August 1984:

"Ich glaube, dass die Rolle, die der FEMA in den überarbeiteten Bestimmungen zugeteilt wurde, ihre Aufgaben als koordinierende Stelle für nationale Notfallbereitschaft überschreitet. Diese Abteilung (die Generalstaatsanwaltschaft, Anm.) und andere haben wiederholt schwerwiegende politische und rechtliche Einsprüche gegen die Umwandlung von FEMA in einen 'Diktator in Notfällen' eingebracht."

US-Truppen sollen in den Straßen aufmarschieren

Obwohl die Versiegelung der Reagan-Papiere die Art und den vollständigen Inhalt der Initiativen für die Nationale Sicherheit im Dunkeln lässt, wurde berichtet, dass Kongressmitglieder, die mit den Unterlagen vertraut sind, glauben, dass Reagan im Jahr 1984 eine Anweisung unterschrieben hat, die die Truppenmobilisierung erleichtern sollte.

Einen ähnlichen Schritt hat kürzlich das Pentagon gesetzt, als es die Zustimmung des Weißen Hauses suchte, dem Militär größere Befugnisse auf amerikanischem Boden zu erteilen. Wenn es nach dem Pentagon geht, sollen in Zukunft US-Soldaten in Straßen auf amerikanischem Gebiet eingesetzt werden können. Zur Zeit verbietet das sowohl die Verfassung als auch das "Posse Comitatus"-Gesetz aus dem Jahr 1878. Am 27. Jänner 2002 hatte ein Sprecher des Pentagons versichert, dass dieser Vorschlag keine Gefahr für die Freiheit der Bürger darstelle.

Übersetzt von Barbara Ottawa