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Die Angst vor der direkten Demokratie

Von Melanie Sully

Gastkommentare
Melanie Sully ist gebürtige Britin. Die Politologin leitet das in Wien ansässige Institut für Go-Governance.

Die Bürger wollen stärker am politischen System teilhaben. Jedoch gilt es aufzupassen, dass dabei nicht neue Eliten entstehen.


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Im 21. Jahrhundert wird "People Power" neben Exekutive, Legislative und Judikative als vierte Gewalt im politischen Leben etabliert, um den einflussreichen Eliten Paroli zu bieten. Die Mächtigen der Finanz- und Wirtschaftswelt und der internationalen Politik sind verdächtig. Auch Berater führender Politikern, oft einstige Studienfreunde, können eine geschlossene Clique bilden, die weitgehend unsichtbar und ohne Rechenschaftspflicht ist.

Direkte Demokratie, so wird vermutet, könne das nachlassende Vertrauen in die Politik durch Einbeziehung der Bürger in die Entscheidungen bekämpfen. Die Kampagne zum Referendum über den Brexit hat jedoch gezeigt, dass sich dieser grundlegende Mangel an Vertrauen auf alle vermeintlichen Experten, Eliten und internationalen Politiker erstreckt, deren Warnungen nicht beachtet wurden. Viele würden gerne sehen, dass solche Themen von einer Volksabstimmung ausgeschlossen werden. Dies könnte zu einer langen Liste von Tabuthemen führen, wodurch die Bürger sich mit relativ geringfügigen Problemen beschäftigen würden.

Direkte Demokratie, so heißt es auch, berge die Gefahr, eher emotionale als rationale Entscheidungen zu fördern - wie beim Brexit-Referendum. Doch würden Wahlen ausgeschlossen, sobald Emotionen eine Rolle spielten, hätten wir ein Problem. Viele Brexiteers behaupten, über ihre Entscheidung lange und gründlich nachgedacht zu haben.

Oft wird befürchtet, die direkte Demokratie könnte die repräsentative Demokratie ersetzen oder mit ihr konkurrieren, allerdings muss dies nicht sein. So wurde die Entscheidung zum EU-Austritt beim britischen Referendum von den Wählern getroffen, jedoch blieb die Entscheidung über das Wie und die Art des Brexits (ob hart oder weich) dem Parlament beziehungsweise der Regierung überlassen. Das schottische Referendum über die Unabhängigkeit im Jahr 2014 wiederum wurde mit hoher Mobilisierung und großem Interesse insbesondere bei jungen und Online-Aktivisten als eine der erfolgreichsten Bewegungen der direkten Demokratie weltweit bewertet.

Ein anderes, zunehmend beliebtes Instrument der direkten Demokratie sind Online-Petitionen. Manche im Vereinigten Königreich können sich binnen weniger Stunden via Internet verbreiten und die Aufmerksamkeit internationaler Medien auf sich ziehen. Jedoch: Wenn Teile der Bevölkerung, die mit dem Internet nicht vertraut sind und denen es an Know-how mangelt, um ihre Anliegen zum Ausdruck zu bringen, nicht an innovativen Formen der Demokratie teilnehmen können, entsteht eine weitere (virtuelle) Elite, die mit den Eliten "da oben" spricht. Unterrepräsentierte Gruppen in der Gesellschaft sehen in diesem Fall noch immer passiv von außen zu.

Neben Online-Petitionen zielen Bürgerversammlungen wie jene in British Columbia, Irland und Island darauf ab, Bürger zusammen mit Politikern im Entscheidungsprozess einzubeziehen.

Damit direkte Demokratie funktioniert, bedarf es einer klaren Vorstellung, was in der Tat erreicht oder verändert werden kann. Auf Anregungen der Bürger nicht zu reagieren, kann zu einer größeren Enttäuschung als zuvor führen.

Mehr zum Thema:
www.mehrheitswahl.at/material/Demokratiebefund2017.pdf