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Die Angst vor der Heimat

Von Simon Rosner

Politik

Viele erhalten Subsidiärschutz, doch ungewisser Status erschwert Integration.


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Wien. Mahdi muss Österreich verlassen. Oder besser: Er müsste. Und das schon seit einem Jahr, doch er bleibt hier, in Wien, und schläft "einmal hier, einmal dort", und lebt von praktisch nichts. Arbeiten darf er nicht, er ist nicht versichert und kann sich nicht einmal ausweisen, denn Mahdi hält sich illegal in Österreich auf. Sein Asylansuchen, das er vor dreieinhalb Jahren stellte, wurde in allen Instanzen abgelehnt.

Mahdi müsste also zurück nach Afghanistan, zurück nach Maidan, seine Heimatstadt. Maidan liegt in der Provinz Wardak, unweit der Hauptstadt Kabul; es ist jene Stadt, in der Ende November bei einem Selbstmordanschlag drei Menschen starben und 90 verletzt wurden. Unter anderem. Übergriffe, Attacken und Straßenblockaden der Taliban sind keine Seltenheit, und die mittelfristige Perspektive fällt nicht gerade positiv aus. Im Jahr 2014 endet offiziell die Nato-Mission ISAF. Was dann ist, weiß niemand wirklich. Der 28-jährige Mahdi weiß nur: Dorthin zurück geht er unter keinen Umständen.

Wer wie Mahdi kein Asyl erhält, hat die Pflicht, das Land zu verlassen, andernfalls droht die Abschiebung. Doch im Fall von Afghanistan ist das gar nicht möglich. Denn nur Flüchtlinge, die freiwillig zurückkehren, erhalten aus Afghanistan die notwendigen Heimreisezertifikate. Sie dürfen also nicht hier sein, können aber auch nicht abgeschoben werden. "Es ist rechtliches Niemandsland", sagt Ruth Schöffl vom UNHCR, der Flüchtlingsorganisation der UNO.

Unsichere Prognose

Im Vorjahr hatten 3609 Menschen aus Afghanistan in Österreich einen Asylantrag gestellt, deutlich mehr als aus jedem anderen Land, und es werden nicht weniger. Viele von ihnen gehören der Volksgruppe der Hazara an, die eine lange Geschichte der Unterdrückung, Vertreibung und des Genozids erlebt hat. Auch gegenwärtig ist es für die Hazara wieder gefährlich und die Lage spitzt sich weiter zu. "Es besteht eine enorme Gefahr, auf offener Straße attackiert zu werden. Und das auf fast allen Straßen in Richtung Kabul", erzählt Zahir Mohammad vom afghanischen Sozial- und Kulturverein in Österreich. Er hat schon vor Jahren Asyl bekommen.

Obwohl über die Jahre keine wirkliche Verbesserung eingetreten und die Prognose durch das ISAF-Ende auch unsicher ist, sinkt die Anerkennungsquote bei Afghanen von Jahr zu Jahr, von 64 Prozent im Jahr 2006 auf heuer unter 40 Prozent.

Dabei wird vom Asylgerichtshof gar nicht bestritten, dass es um die Sicherheitslage dort sehr schlecht bestellt ist. Die Gefahr ist ja auch offensichtlich, wenn wöchentlich die Meldungen über Anschläge und Explosionen über die Agenturen in die Welt geschickt werden.

Und auch in Pakistan, wo auch zahlreiche Hazara leben, nehmen die Gewaltakte islamistischer Rebellen in besorgniserregender Art und Weise zu. Deshalb ist es 2011 auch zu einem sprunghaften Anstieg von Asylanträgen von Pakistani gekommen, doch im Gegensatz zu Afghanen sind sie ohne Chance. Die Anerkennungsquote beträgt ein Prozent.

Keine Chance auf Schutz

Gewalttaten "werden nicht mehr als ethnisch motiviert gewertet", sagt Anny Knapp vom Verein "asylkoordination Österreich". Als Gründe für Angriffe, Mord und Totschlag werden Streitigkeiten über Wasser und Bodennutzungsrechte vermutet - und diese Gründe reichen nicht aus, um gemäß Genfer Flüchtlingskonvention Asyl zu erhalten.

"Früher war es üblich, zumindest subsidiären Schutz zu gewähren, aber das ist auch aufgeweicht worden", sagt Knapp. Subsidiären Schutz erhalten prinzipiell jene, deren Fluchtgründe zwar nicht für eine Asylgewährung reichen, deren Leben aber im Fall einer Rückkehr gefährdet wäre. Da dies auf viele Afghanen, Syrer und Iraker zutrifft, wird Flüchtlingen aus diesen Ländern häufig subsidiärer Schutz gewährt. Flüchtlinge aus Pakistan - einige von ihnen protestieren seit Wochen in Wien - haben jedoch trotz der zuletzt vielen Anschläge so gut wie keine Chance.

Madhi lebt zumindest in Sicherheit - wenn auch illegal. Und er ist kein Einzelfall, die Zahl der illegal in Österreich lebenden Afghanen steigt. Angesichts der Sicherheitslage in Afghanistan, aber auch aus Scham, ohne Geld aus Europa wieder heimzukehren, gibt es nicht viele, die freiwillig zurückfahren. "Die Rückkehrbereitschaft ist gering", sagt Günter Ecker vom "Verein Menschenrechte", einer NGO, die vom Innenministerium beauftragt wurde, Rückführungen zu organisieren und Flüchtlinge zu beraten.

Da bereits einige Länder in Europa, etwa Schweden, Vereinbarungen mit dem afghanischen Innenministerium für Abschiebungen getroffen haben, regiert bei den hier lebenden Flüchtlingen die Furcht, dass auch in Österreich eine solche Einigung bevorstehen könnte. "Derzeit gibt es in dieser Frage keine Fortschritte", sagt Karl-Heinz Grundböck, Sprecher des Innenministeriums.

Es bleibt also vorerst bei der für alle Seiten unbefriedigenden Situation, wenngleich den afghanischen Flüchtlingen ein Leben in der Illegalität lieber ist, als eine Abschiebung in ein Land, in dem sie um Leib und Leben fürchten müssen. "Wir Hazara werden von den Taliban ja gezwungen das Land zu verlassen oder unsere Religion zu wechseln", sagt Zahir Mohammad.

Warten auf die Duldung

So wie viele hofft daher auch Madhi, am Ende doch bleiben zu können. Er ist insgesamt schon dreieinhalb Jahre in Österreich und spricht mittlerweile recht gut Deutsch. Ein erneutes Asylansuchen kann er nur stellen, wenn sich die Situation in Afghanistan verändern sollte. Doch es gibt auch andere Wege zur Legalität, zu Arbeit und Unterkunft.

Mahdi hat eine Duldungskarte bei der Fremdenpolizei beantragt. Wenn er sie erhält, kann er auch eine Beschäftigungsbewilligung bekommen. Beim ersten Versuch ist dem jungen Afghanen die Duldungskarte verwehrt worden. "Es gibt leider keine genauen Richtlinien, die Karte wird nach Willkür vergeben", sagt Herbert Langthaler von der "asylkoordination Österreich".

"Geduldet" zu sein, wäre der erste Schritt. Nach einem Jahr Arbeit haben Geduldete dann Anspruch auf die Rot-Weiß-Rot-Karte, nach fünf Jahren Beschäftigung auf einen Daueraufenthalt. Soviel Pragmatismus gibt auch das österreichische Fremdenrecht her. Paradox ist hingegen, dass subsidiär Schutzberechtigte erst nach fünf Jahren Anspruch auf die begehrte Rot-Weiß-Rot-Karte haben.

Nachteile am Arbeitsmarkt

Mit diesem Aufenthaltstitel dürfen Flüchtlinge im Gegensatz zu Asylwerbern auch arbeiten, allerdings wird der Schutz immer nur für ein Jahr gewährt und gegebenenfalls verlängert. "So kann man aber keine Verträge abschließen, nicht einmal einen Handyvertrag erhält man", sagt Shokat Ali Walizadeh, der seit drei Jahren diesen subsidiären Schutz hat.

Shokat Ali spricht mittlerweile perfekt Deutsch, und er hat einen Arbeitgeber gefunden, der ihn trotz seines unsicheren Aufenthaltstitels beschäftigt. Beim Verein "Neuer Start" kümmert er sich außerdem seit zwei Jahren um afghanische Jugendliche, die den gleichen Status wie er haben oder gar Asyl erhalten haben. "Sie wollen an der österreichischen Gesellschaft teilnehmen", erzählt er. Für Illegale wie Madhi kann aber auch der Verein wenig tun.

Mahdi, ein ausgelernter Automechaniker, kann nur warten und hoffen, dass er beim zweiten Anlauf doch noch die Duldungskarte der Fremdenpolizei erhält. Und dass es keine Einigung zwischen Österreich und Afghanistan gibt. Sonst steht ihm die Abschiebung bevor, zurück nach Maidan, zurück in die Gefahr.

Hazara in Afghanistan
Die Hazara sind eine Ethnie, die vor allem in Zentralafghanistan beheimatet ist. Nach Paschtunen und Tadschiken sind sie die drittgrößte Volksgruppe in Afghanistan und machen laut eigenen Angaben 25 Prozent der Bevölkerung aus. Die Herkunft der Hazara ist wissenschaftlich nicht gänzlich geklärt, sie selbst zählen sich zu den Turkvölkern, ein Einfluss der Mongolen ist in der Wissenschaft aber unstrittig.

Rund 90 Prozent der Hazara sind schiitische Muslime, den Rest machen Sunniten und Ismailiten aus. Die Sprache der Hazara, das Hazaragi, ist eine Abwandlung des persischen Dialekts Dari.

Mit der Auflehnung gegen die Unterdrückung durch Herrscher f Abdur Rahman Khan Ende des 19. Jahrhunderts begann ein mehrjähriger Genozidan den Hazara. Rund 60 Prozent wurden ermordet und vertrieben, Tausende versklavt.

Die Geschichte der Unterdrückung und Verfolgung setzte sich auch im 20. Jahrhundert fort, zuerst durch die Mujahedin-Regierung, die 1993 in Kabul ein Massaker an Hazara anrichtete, dann später durch die Taliban.

Die Taliban waren 2002 auch für die Zerstörung der Buddha-Statuen in der von Hazara bewohnten Provinz Bamiyan verantwortlich, die für die Bevölkerung von großem Wert waren. Auch heute sorgen Taliban immer wieder für Übergriffe.

Für die Hazara ist Bildung ein wichtiges Gut. Ihr Anteil an den Hochschulen ist überproportional, und auch bei der politischen Neuordnung des Landes nach dem Einmarsch der Amerikaner und Briten spielten die Hazara dank ihrer Bildung eine große Rolle. Im afghanischen Parlament sind die Vertreter der Hazara bei Frauenrechten liberaler als andere Gruppen.