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Die Angst vor Geschöpfen, die uns über den Kopf wachsen

Von Heiner Boberski

Wissen

Das Philosophicum Lech behandelt heuer das Thema "Neue Menschen!".


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Lech. "Wir Menschen nehmen uns so ernst, dass wir jeden Schritt unseres Werdens kennen wollen." Mit diesem Satz leitete der Schriftsteller Michael Köhlmeier am Mittwoch den philosophisch-literarischen Vorabend zum Philosophicum Lech ein. "Neue Menschen! - Bilden, optimieren, perfektionieren" lautet das Thema, in das von der Entstehung der Menschheit bis zum Streben, möglichst vollkommene Exemplare dieser Spezies hervorzubringen, alles hineinpasst. Für Donnerstagabend war die offizielle Eröffnung des bereits 19. Philosophicums in dem Vorarlberger Bergdorf angesetzt.

Den Vorabend bestreiten traditionell Köhlmeier und der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann, der langjährige Spiritus Rector des Philosophicums. Zum Thema "Korrekturen der Schöpfung" warf Köhlmeier die literarischen Hölzchen, Liessmann ging darauf mit philosophischen Assoziationen ein - das ergab eine intellektuelle und oft auch amüsante Doppelconference.

Zunahme oder Verlust von Freiheit?

Der begnadete Geschichtenerzähler Köhlmeier begann mit dem Prometheus-Mythos, der Gestaltung der Menschen als "lernfähige Versager", die Zeus am liebsten mit einer Sintflut ausgerottet hätte. Liessmann wies darauf hin, wie sehr Karl Marx den Rebellen Prometheus als "wichtigsten Heiligen der Philosophie" geschätzt und wie Goethe Prometheus hymnisch als "Inkarnation einer neuen nicht-göttlichen Schöpfungskraft" gewürdigt habe. Prometheus habe die Menschen mit Feuer und Intelligenz ausgestattet, doch damit allein hätten sie sich fast selbst ausgerottet, sie bedurften noch des Schamgefühls und des Gerechtigkeitssinns.

"Wir stellen heute Dinge her, die etwas besser können als wir", erklärte Liessmann am Beispiel des Schachcomputers. Der Mensch schäme sich angesichts der Vollkommenheit des von ihm Geschaffenen. "Die Dinge wachsen ihm über den Kopf", führte Liessmann aus und verwies auf das Automobil der Zukunft, das keiner Steuerung mehr bedarf. Sei das noch ein Zugewinn an Freiheit oder ein Abgeben von ihr an unsere Geschöpfe? Die alte Theodizee-Frage, weshalb ein gütiger Gott so viel Böses in der Welt zulasse, drehte Liessmann um: "Kann Gott nicht eingreifen, weil er etwas geschaffen hat, das mehr vermag als er?"

Golem und Frankenstein

Mit Wesen, die ihren Schöpfern fast oder ganz über den Kopf wuchsen, befassten sich Köhlmeiers weitere Erzählungen: dem Golem und dem Monster des Wissenschafters Viktor Frankenstein im Roman von Mary Wollstonecraft Shelley. Der im 16. Jahrhundert vom Prager Rabbi Löw aus Lehmklumpen zum Leben erweckte Golem sollte die Juden vor der "Blutlüge" (dass Juden christliche Kinder rituell töten) schützen. Diesen dienstbaren Geist, der wohl Goethe zu seinem "Zauberlehrling" inspirierte, konnte man mit einem in den Mund gelegten Zettel, auf dem eine Formel stand, in Betrieb nehmen oder abschalten. Nicht zufällig habe der erste Supercomputer Israels den Namen Golem erhalten, sagte Liessmann. Wir seien heute auf der Suche nach einem solchen Formelzettel, um bestimmte Entwicklungen wieder abzustellen. Wir wissen nämlich wie Doktor Frankenstein nicht sicher, was dabei herauskommt, wenn von uns kreierte Wesen oder Maschinen in die Lage versetzt werden, sich fortzupflanzen beziehungsweise sich zu reproduzieren.