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Die "Ängste ernst nehmen"

Von Isolde Charim

Gastkommentare
Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien.
© Daniel Novotny

"Ausländer" und die soziale Frage.


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Nach der Wahl wollen alle die "Ängste der Menschen ernst nehmen". Die Ängste jener Menschen, die gezeigt haben, dass es zwei Wiens gibt. Jener Menschen, die diese Stadt als nicht lebenswert erleben. Viele Journalisten machen sich nun auf den Weg in das andere, das "blaue" Wien. Und was finden sie dort: Verlierer oder kleinbürgerliche Besitzstandswahrer (Florian Klenk)? Berechtigte oder irrationale Ängste? Eine andere Wahrnehmung oder eine andere Realität?

In jedem Fall findet man dort eine hohe "Ausländerdichte". Will man also die Ängste ernst nehmen, dann muss man sich den Stellenwert des sogenannten "Ausländerproblems" klarmachen.

Da gibt es all das, was anders geworden ist: die Gerüche, die Lautstärken, die Bilder. Da gibt es irrationale Abwehr und Fremdenfeindlichkeit. Keine Frage. Aber da gibt es noch etwas, was nicht Rassismus ist. Und das ist die soziale Frage. Der springende Punkt dabei ist: Soziale Probleme artikulieren sich heute anhand von Identitäten! Die soziale Frage lässt sich heute nicht jenseits davon stellen.

Nicht als falsche Formulierung eines richtigen ökonomischen Problems. Nicht als irrationaler Ausdruck einer realen Schieflage. Nein - die Identität ist heute der Moment, an dem diese Auseinandersetzung ausgetragen wird. Deshalb sind kulturelle Unterschiede so heikel, so aufgeladen: In ihnen verdichtet sich eine wesentliche gesellschaftliche Veränderung. In der Identitätsfrage bricht das auf, was der Umbau des Wohlfahrtsstaates ausgelöst hat.

Der Wohlfahrtsstaat wurde nach dem Krieg, so Tony Judt, als Bollwerk gegen einen Rückfall in den Faschismus verstanden. Das konnte er nur leisten, weil er zwei Funktionen hatte: Er bot nicht nur finanzielle Umverteilung, Schutz vor den Unwägbarkeiten des Marktes. Der Wohlfahrtsstaat vollzog auch und zugleich die symbolische Integration der Bürger. Das wird oft übersehen. Er hat den Leuten nicht nur Geld, sondern auch eine Identität geboten: nämlich jene des Bürgers, der soziale Rechte hat. Was für eine Ermächtigung war das! Selbst die Schwächsten hatten Rechte, Ansprüche. Der Wohlfahrtsstaat war eine Gestalt der sozialen Demokratie - einer Demokratie also, die den Bürgern neben politischen und juristischen Rechten auch soziale Rechte eingeräumt werden. Er erzeugte die Identität jener, die Rechte haben, indem er sie ihnen zusprach. So hat er eine Massenloyalität erzeugt.

Der Rückbau des Wohlfahrtsstaates bedeutet auch die Aushöhlung dieses Identitätsstatus. An die Stelle des Rechte habenden Bürgers tritt das Subjekt, das Verpflichtungen erfüllen, das Leistungen erbringen muss - das Marktsubjekt. Das mag - kurzfristig - ökonomisch effizienter sein, identitätspolitisch ist es fatal.

Denn daraus folgt, dass die ökonomische und die soziale Integration (Helmut Dubiel) wieder auseinander treten: Ökonomische und symbolische Integration müssen wieder getrennt verfolgt werden. Die Leute mögen sich mehr oder weniger am Markt behaupten - ihr Status als Rechte habender Bürger, als sozialer Bürger erodiert. So wird die Frage der Identität eben anderswo verhandelt. Denn verhandelt werden muss sie. Und genau da dockt das "Ausländerthema", da dockt der rechte Populismus an. Die "Ängste ernst nehmen" heißt hier anzusetzen.