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Die Anklage der Trittbrettfahrer

Von Walter Hämmerle

Analysen

Analyse: Ausgerechnet Österreich will den EU-Partnern in Sachen Sicherheitspolitik die Leviten lesen.


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Wien/Berlin. Die Teilnehmer der 2. Berliner Strategiekonferenz, die heute, Dienstag, in der deutschen Hauptstadt über die Bühne geht, werden sich womöglich ihren Teil denken, wenn Österreichs Verteidigungsminister Gerald Klug - wie zuvor per Aussendung angekündigt - der ineffizienten EU-Verteidigungspolitik die Leviten liest. Europa habe, so der Minister, "erhebliche Schwierigkeiten, die Sicherheit seiner Mitglieder" zu garantieren. Die Interessen der USA, unter deren militärischen Schutzmantel es sich bisher gut leben habe lassen, würden sich gen Asien verschieben, weshalb nun eben Europa selbst die Verantwortung für seine Sicherheit übernehmen müsse.

An den finanziellen Mitteln dafür würde dies nicht scheitern, so Klug, allein "wir bringen diese Pferdestärken nicht auf die Straße": "Kein EU-Staat kann diese Herausforderungen im Alleingang bewältigen. Die EU muss handlungsfähig werden und sich sicherheitspolitisch emanzipieren."

In der Sache hat der Minister durchaus recht; die Frage ist, ob Österreich das richtige Land ist, seinen EU-Partnern in der Sache einer gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik die Welt zu erklären. Nicht nur wegen der Neutralität, diesem heimischen Spezifikum, sondern auch aufgrund der Art, wie sich die Politik der letzten Jahrzehnte diesem Thema gewidmet hat - beziehungsweise nicht gewidmet hat.

Nur zur Erinnerung: Österreichs Bundesheer droht der Kollaps aufgrund chronischer Unterfinanzierung. Die Führung spricht mittlerweile sogar offen aus, dass der politische Auftrag mit den vorhandenen Mitteln nicht länger aufrechterhaltbar sei; aus Spargründen betreiben die Eurofighter die Luftraumüberwachung quasi nur noch zu Büroöffnungszeiten; ein großer Teil der Fahrzeuge steht still, weil der Sprit zu teuer käme; notwendige Anschaffungen werden auf die lange Bank geschoben. Die Mängelliste ließe sich noch fortsetzen, schließlich sieht das Doppelbudget für heuer und 2015 weitere Sparmaßnahmen vor.

Angesichts dieser Not hat nun der Generalstab vorgeschlagen, die Luftraumüberwachung von Nachbarstaaten erledigen zu lassen. Für ein kleines Land wie Österreich eine prinzipiell sinnvolle Idee - getreu dem Prinzip von "sharing & pooling" -, wäre da nicht die Neutralität, die von der heimischen Politik den Bürgern seit jeher als Garant der nationalen Sicherheit verkauft wird. Prompt legten die Wehrsprecher von SPÖ und ÖVP ein Veto ein - aus Gründen der Neutralität selbstverständlich.

Zwar sinken auch in den meisten anderen europäischen Staaten die Verteidigungsausgaben seit Jahren, doch so wenig wie Österreich - 0,5 Prozent des BIP - gibt kaum ein entwickelter Industriestaat für seine Sicherheit aus: Schweden kommt mit 1,2 Prozent des BIP auf mehr als das Doppelte, Deutschland gibt rund 1,3, Frankreich 2 und Großbritannien 2,6 Prozent seiner nationalen Wirtschaftsleistung aus.

Wenn Klug also davon spricht, dass es sich ganz gut unter dem Sicherheitsnetz der USA gelebt habe, dann müsste sich das eigentlich zuallererst an die Adresse Österreichs nach 1955 richten.

Seit Jahren nun wird auf EU-Ebene versucht, die nationalen Verteidigungsbudgets zu koordinieren, um den Nutzen aus den geringer werdenden Mitteln zu maximieren. So soll etwa gespart werden, indem die EU-Staaten Rüstungskäufe gemeinsam tätigen und bei der militärischen Forschung Synergien anstreben. Insgesamt gaben die EU-Staaten zuletzt 190 Milliarden Euro aus, das entspricht rund einem Drittel der US-Ausgaben, übertrifft aber die summierten Ausgaben von Russland, China und Japan. Der Aufbau einer Gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP), immerhin seit 2001 Bestandteil der EU-Verträge, kommt in der Realität allerdings kaum voran. Nationale Sonderinteressen etwa bei Rüstungsbeschaffungen behalten meist die Oberhand, EU-Kommission und EU-Parlament verfügen kaum über Mitsprache- oder Gestaltungsmöglichkeiten. Umstritten ist insbesondere, welche Rolle die Sicherheitsarchitektur der Nato, in der die USA die Führungsrolle innehat, beim Aufbau der europäischen Strukturen einnehmensoll. Militärisch handlungsfähig ist die EU derzeit einzig und allein über die Strukturen des Nordatlantikbündnisses.

Im Anschluss an die heutige Rede Klugs in Berlin könnte sich also durchaus eine spannende Diskussion ergeben, an deren Ende aber wohl offen bleiben wird, ob Österreich zu alldem selbst bereit ist, was es von den anderen EU-Staaten einfordert.