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Die Antwort Europas auf die Krise

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Wirtschaft

Bankenaufsicht erhält starke Durchgriffsrechte. | Neue Stresstests als erste große Bewährungsprobe. | Brüssel/Wien. Gut zwei Jahre nach der Lehman-Pleite findet Europa eine erste Antwort auf die von der Finanzkrise aufgeworfenen Fragen: Mit dem Jahreswechsel startet in der EU ein neues System der Finanzmarktaufsicht. In der Krise zeigte sich nämlich, dass die Probleme grenzüberschreitend tätiger Finanzinstitute durch die nationalen Aufsichtsbehörden nicht ausreichend bewältigt werden konnten.


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Nun nehmen gleich vier neue Behörden formal per 1. Jänner 2011 ihre Arbeit auf. In London wird die Europäische Bankenaufsicht (EBA) etabliert, in Paris die Europäische Wertpapier- und Börsenaufsicht (ESMA) und in Frankfurt die Europäische Aufsicht für Versicherungen und Pensionsfonds (EIOPA). Damit werden bereits bestehende Markt-Ausschüsse für die drei Sektoren zu Aufsichtsorganen mit Durchgriffsrechten auf die nationalen Behörden und die Finanzinstitute aufgewertet.

Über ihnen wacht das neue ESRB (European Systemic Risk Board) in Frankfurt als eine Art Frühwarnsystem für mittel- und langfristige Marktrisiken. Die Empfehlungen des ESRB sind zwar für die Mitgliedsländer nicht verbindlich. Wenn ein Staat nicht Folge leistet, kann es seine Problemanalysen aber öffentlichkeitswirksam publizieren. Chef des ESRB ist vorläufig immer der Präsident der Europäischen Zentralbank, derzeit also Jean-Claude Trichet. Für die Spitzenpositionen der anderen Aufsichtsbehörden laufen noch die Auswahlverfahren. Laut einer Sprecherin von Binnenmarktkommissar Michel Barnier sind mehr als 300 Bewerbungen eingegangen. Spätestens im April soll die Besetzung abgeschlossen werden.

Breitere Überprüfung

Die erste schwierige Bewährungsprobe kommt auf die EBA aber schon im Februar zu, wenn die nächste Runde von Stresstests für die europäischen Banken angesetzt ist. Die letzten Belastungsprüfungen vor dem Sommer sind in die Kritik geraten, weil bloß die Eigenkapitalbasis und nicht auch die Liquiditätsreserven der Banken getestet wurden. Das führte dazu, dass bloß 7 von 91 geprüften Banken durchfielen. Nicht aufgefallen waren Katastropheninstitute wie die Anglo Irish Bank und die Allied Irish Banks. Die brachten Irland mit weiterem Finanzierungsbedarf von gut 50 Milliarden Euro aber mittlerweile an den Rand des Ruins.

Immerhin ist die EBA jene der neuen Behörden, deren Befugnisse bereits recht klar umrissen sind. Um sie hatte es die meisten Auseinandersetzungen gegeben, weil die Mitgliedstaaten nicht besonders froh waren, Kompetenzen an die europäische Ebene abgeben zu müssen.

So wird die alltägliche Aufsicht über die Banken weiterhin von den nationalen Behörden wahrgenommen. In drei Situationen erhält die EBA aber verbindliche Weisungsbefugnis: Erstens entscheidet sie am Ende, wenn sich zwei nationale Aufsichtsbehörden uneinig über Vorgaben an grenzüberschreitend tätige Finanzinstitute sind. Zweitens kann die EBA einschreiten, wenn die staatlichen Behörden bei ihrem Vorgehen gegen EU-Recht verstoßen. Und drittens erhält sie weit reichende Kompetenzen im Krisenfall und darf etwa vorübergehend besonders riskante Finanzgeschäfte verbieten.

Noch Punkte offen

Dieser dritte Punkt ist allerdings durch zwei Elemente eingeschränkt. So obliegt es den Finanzministern zu erklären, wann eine Krise vorliegt. Und: Sollten die Vorgaben der europäischen Aufseher die Mobilisierung staatlicher Mittel beinhalten, verfügen die Mitgliedstaaten über eine Art Vetorecht. Dieses auszuüben ist aber enorm kompliziert, daher soll es nur in Extremfällen dazu kommen.

Erst von präzisierenden EU-Gesetzen ableitbar sind dagegen die Kompetenzen der anderen Sektor-Aufsichten. So erhält die ESMA eine tragende Rolle bei der Überwachung von Hedgefonds und Ratingagenturen. Letzteren sollen vor der Krise letztendlich wertlose Papiere zu gut bewertet haben. Künftig müssen sie der ESMA daher umfassenden Einblick in ihre Bewertungsmethoden gewähren.

Die Kapitel Derivate und Leerverkäufe hat Kommissar Barnier diesen Herbst erst aufgeschlagen. Der Großteil des Derivatehandels findet außerhalb der Börsen direkt zwischen den Finanzinstituten statt und ist für die Aufsichtsbehörden nicht greifbar. Barnier will daher die verpflichtende Abwicklung über Clearinghäuser durchsetzen. Faktisch verbieten will die Kommission ungedeckte Leerverkäufe, bei denen Händler durch riskante Konstruktionen auf fallende Kurse wetten. Hier hat Barnier schon die nächste Runde der Finanzmarktreform eingeläutet: Zieldatum für ein Inkrafttreten der neuen Regeln für Derivate und Leerverkäufe ist Mitte 2012.