Im "Krieg gegen den IS" fallen Tabus. Schrittweise kommt die totale Kontrolle des öffentlichen Raums.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien/Paris/Berlin/Kairo. Die einzigartige Terror-Serie, die Europa derzeit heimsucht, hat unmittelbare Konsequenzen für alle Bewohner des Kontinents: Sie müssen sich daran gewöhnen, in weit größerem Ausmaß als bisher überwacht, kontrolliert und beobachtet zu werden. Immerhin spricht Frankreichs Präsident Francois Hollande von einem "Krieg" seines Landes gegen den IS. "Wir müssen unerbittlich sein", assistiert sein Amtsvorgänger Nicolas Sarkozy: Juristische Spitzfindigkeiten, Vorsicht und Vorwände seien jetzt fehl am Platz. Der Feind kenne immerhin auch kein Tabu, keine Grenzen, keine Moral. Dass die Maßnahmen nicht nur gefährliche Terroristen, sondern auch arglose "Normalbürger" betreffen werden, ist klar. Allerorts wird kontrolliert, reglementiert und gefilzt wie noch nie.
Die ersten, die das am eigenen Leib zu spüren bekommen, sind die Urlauber. So hat die südfranzösische Traumdestination Cannes jetzt sogar das Mitführen von großen Taschen an den Strand verboten. Betroffen sind alle Gepäckstücke, in denen gefährliche Gegenstände wie Waffen oder Sprengstoff verborgen sein könnten, wie die Stadtverwaltung mitteilte. Außerdem wird darüber diskutiert, dass künftig bewaffnete Polizisten als "Rettungsschwimmer" an den Stränden postiert werden.
Sprengstoffhunde unter Palmen
Auch woanders sind europäische Touristen dauerhaft unter Beobachtung. Die großen Luxus-Hotelanlagen in Ägypten haben nach islamistischen Anschlägen oder Anschlags-Versuchen ganze Armeen von Security-Leuten im Einsatz. Jedes Auto, das zufährt, wird mit Bodenspiegeln durchsucht, Sprengstoffhunde schnüffeln am Strand entlang. In den Ressorts sind Videokameras installiert, Sprengstoffdetektoren sind im Einsatz.
Klar, dass sich Touristen unter einer behaglichen Atmosphäre etwas anders vorstellen - entsprechend massiv ist der Ägypten-Tourismus zurückgegangen. Auch in der Türkei, in Tunesien und in Marokko gehen große Hotelketten wie auch kleine Familienunternehmen reihenweise in Konkurs. Dass die marokkanischen Behörden am Mittwoch stolz verkünden, 52 mutmaßliche IS-Anhänger im Land dingfest gemacht und damit einige Anschläge verhindert zu haben, dürfte Urlauber nicht ermutigen. In Tunesien hatte im Vorjahr ein Attentäter im Hotel Imperial Marhaba mit einer Kalaschnikow 38 Touristen erschossen, spätestens seitdem geht es dort mit dem Tourismus steil bergab.
Jetzt werden sich Reisende daran gewöhnen müssen, schon beim Betreten eines Flughafens kontrolliert zu werden. Derartige Maßnahmen hat es nach dem Anschlag auf den Brüsseler Airport gegeben, jetzt hat der Flughafen Genf nach Hinweisen aus Frankreich die Kontrollen verschärft. Dort gibt es jetzt Pass- und Ausweiskontrollen direkt am Eingang. Mehrere Eingänge zum Flughafen sollen zudem geschlossen worden sein, die Polizei rät den Reisenden, mehr Zeit als gewöhnlich einzuplanen. Diese Kontrollen könnten bald überall Standard sein.
Auch wer 2016 das Oktoberfest in München besucht, wird mit der neuen Angst vor dem Terror konfrontiert werden. Die Kontrollen von Taschen und Rucksäcken werden ausgeweitet, der Münchner Stadtrat erwägt ein generelles Verbot von Rucksäcken. Eine neues, erweitertes Sicherheitskonzept ist in Ausarbeitung. Allgemein soll in Deutschland bei Großveranstaltungen künftig mehr Polizei zum Einsatz kommen.
Rechtsextremer Amokläufer
Ein Sprecher der Firma Securitas bestätigte, dass die Mitarbeiter derzeit auch in Wien erhöhte Aufmerksamkeit walten lassen und besonders auf Details achteten. Die österreichische Bundespolizei geht von einer "abstrakten Gefährdungslage" aus, so Oberst Johann Golob gegenüber der "Wiener Zeitung". Es gelte erhöhte Aufmerksamkeit für alle Exekutivbeamten.
Unterdessen wurde bekannt, dass es sich bei dem Amokläufer von München, der neun Menschenleben auf dem Gewissen hat, offensichtlich um einen Rassisten mit rechtsextremistischem Weltbild handelt. Nach einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", die sich auf Ermittlerkreise beruft, habe er es als "Auszeichnung" verstanden, dass sein Geburtstag auf den 20. April, also auf den Geburtstag von Adolf Hitler, fiel. Entsprechende Aussagen über eine Begeisterung für Hitler stammen aus dem engsten Umfeld des Täters, der aus einer iranischen Familie stammt. Er sei stolz darauf gewesen, als Iraner und als Deutscher "Arier" zu sein. Türken und Araber habe der Täter hingegen gehasst. Er habe ein "Höherwertigkeitsgefühl" ihnen gegenüber gehegt, so der Online-Bericht.
Explosion vor Asyleinrichtung
Der AfD-Vize Alexander Gauland will unterdessen kompromisslos durchgreifen und das Asylrecht für alle Muslime aussetzen. "Wir können es uns aus Sicherheitsgründen nicht mehr leisten, noch mehr Muslime unkontrolliert nach Deutschland einwandern zu lassen", so der Politiker. Deshalb müsse "das Asylrecht für Muslime umgehend ausgesetzt werden, bis alle Asylbewerber, die sich in Deutschland aufhalten, registriert, kontrolliert und deren Anträge bearbeitet sind".
Gestern ist in unmittelbarer Nähe einer Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge im bayerischen Zirndorf ein mit Spraydosen gefüllter Koffer explodiert. Verletzt wurde demnach niemand. Über Hintergründe war zunächst noch nichts bekannt. In Deutschland kommt es seit geraumer Zeit regelmäßig zu Angriffen auf Asylheime.