Die Debatte um die Notwendigkeit von Übergangsfristen auf dem Arbeitsmarkt war in Österreich auch von Heuchelei gezeichnet.
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Franz war von Anfang an dafür. Die Übergangsfristen, befand er, seien eine gute Sache. Zwar hört der 50-jährige Techniker schon seit Jahren auf seinem täglichen Weg aus dem Weinviertel nach Wien im Zug mehr Slowakisch als Deutsch. Doch das störe ihn gar nicht so sehr. Dass "die Slowaken für ihre Monatskarte weniger bezahlen müssen als wir Österreicher" findet Franz ebenfalls nicht besonders schlimm - wenn auch erwähnenswert. Und seine Anstellung in einem staatsnahen Betrieb wäre wegen der Arbeitsmarkt-Öffnung keineswegs gefährdet.
Dennoch war Franz ein Befürworter der Vorschriften, die es Polen, Tschechen, Slowaken, Ungarn, Slowenen, Litauern, Letten und Esten sieben Jahre lang erschwerten, in Österreich legal zu arbeiten. Denn gäbe es diesen Riegel nicht, davon ist Franz überzeugt, würden all die Menschen den heimischen Arbeitgebern die Türen einrennen und "unseren Jungen die Jobs" wegnehmen.
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Die Übergangsfristen auf dem Arbeitsmarkt gehen in einem Monat zu Ende. Nur Österreich und Deutschland haben sie bis zum Schluss ausgenützt, bis sieben Jahre nach dem EU-Beitritt acht osteuropäischer Länder sowie Zyperns und Maltas. Die Regelung war der Preis für die Zustimmung der Bevölkerung zur Osterweiterung der Union.
Sie war mehr den Ängsten vieler Österreicher geschuldet denn wirtschaftlichen Überlegungen, die die damalige wirtschaftsliberale Regierungspartei hintan stellte. Denn so stark Österreich von der Erweiterung ökonomisch profitierte, so groß war die Sorge im Land - vor Lohndumping, bedingt durch die Einkommensunterschiede, vor Zuwanderung und zusätzlichen Belastungen für den Wohlfahrtsstaat.
Doch war die Debatte darüber - bis jetzt - auch von Heuchelei gezeichnet. Etliche Verteidiger der Übergangsfristen lassen ihr Heim von einer polnischen Putzfrau putzen, ihre kranke Mutter von einer tschechischen Pflegerin betreuen oder ihr Haus von einem slowakischen Bautrupp fertigstellen. Vor Lohndumping durch Ausländer warnende Gewerkschaften tun zu wenig, um Ausländer in einen gemeinsamen Kampf für soziale Mindeststandards einzubinden. Und so mancher von denen, die auf die Gefahr der Einkommensunterschiede in den Nachbarländern hinweisen, fährt gerne in ein Nachbarland, um zum billigen Zahnarzt zu gehen. Selbst das Argument der räumlichen Nähe, die Österreich für die Osterweiterung betroffener machen soll, ist in Zeiten von Billigflügen geschwächt.
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Die abstruse Situation, in einem anderen EU-Land leben aber nicht arbeiten zu dürfen, ist für die meisten EU-Bürger bald vorbei - und gilt für Bulgaren sowie Rumänen weiterhin. Und nicht zu unrecht haben etliche Osteuropäer die Regelung als Diskriminierung, ja, als Demütigung empfunden.
Sie mussten sich vorkommen wie die arme Cousine aus dem Osten. Zwar erscheint es den reichen Verwandten im Westen nur edel und gut, Hilfspakete und abgetragene Kleider dorthin zu schicken oder das Mädchen ab und zu hier schwarz arbeiten zu lassen - womit doch beiden Seiten geholfen sei. Wenn die Cousine dann aber in den Westen kommt und sich statt Almosen Gleichbehandlung wünscht, wird es der Verwandtschaft zu bunt.
"Wie kommt das Mädchen dazu, an unserem Wohlstand teilhaben zu wollen?", fragen dann die reichen Verwandten. Die Antwort wäre schlicht: Weil sie das Recht dazu hat.
Siehe auch:Wer Tschechien wegen eines Jobs verlassen wollte, hat es längst getan