Thailand hat sich rasant verändert, die Politik findet keine Antwort auf die Widersprüche in der Gesellschaft.
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Der Militärputsch in Thailand ist ein Triumph für die Protestbewegung, die seit Monaten gegen die nun gestürzte Regierung agitiert hat. Die alten Eliten wollten die bei der ärmeren Landbevölkerung beliebte Partei Pheu Thai unbedingt loswerden – egal wie. Immer wieder wurde daher spekuliert, dass die von Ex-Vizepremier Suthep Thaugsuban angeführten Demonstranten Gewalt provoziert haben, um ein Eingreifen des Militärs zu erwirken.
Dass die Armee nun tatsächlich einschritt, ist eine Niederlage für die Mehrheit der Wähler, die dieser Regierung ihre Stimme gegeben haben. Seit 2006 haben die Bewegungen, die dem bei den Armen populären Ex-Premier Thaksin Shinawatra nahestehen, noch jede Wahl gewonnen – und durften noch keine Legislaturperiode zu Ende regieren. Entmachtet und zum Rücktritt gezwungen wurden sie entweder durch Gerichtsurteile oder, wie es jetzt der Fall ist, durch das Militär. Und das schürt die Wut bei den Rothemden, einer Massenbewegung aus dem Nordosten des Landes, die nun ihrerseits die Proteste nicht beenden will. Die Gefahr ist groß, dass die Lage endgültig eskaliert.
Das Militär hat politische Reformen angekündigt. Wie diese aussehen sollen, bleibt fraglich. Klar ist, dass die Armee dabei unbedingt darauf Bedacht nehmen muss, sich so neutral wie möglich zu geben, um den Zorn der Rothemden nicht noch weiter anzufachen. Eine Rückkehr in alte Zeiten ist jedenfalls nicht mehr möglich. Die alten Eliten werden nicht mehr über die Köpfe der ländlichen Massen hinweg regieren können, auch wenn sich das mancher vielleicht wünscht.
Manches ist in Thailand über die Jahrzehnte zwar gleich geblieben – etwa die absolute Verehrung für König Bhumibol Adulyadei. Aber sonst hat sich Thailand rasant gewandelt – wie jedes Land, das sich von einer Agrar- zusehends in eine moderne Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft entwickelt.
Keine Ausgleich für unterschiedliche Interessen
Da gibt es die boomenden Industriezonen rund um Bangkok und die nachhinkenden ländlichen Regionen. Da gibt es eine aufstrebende Mittelschicht aus dem Nordosten und die alten vermögenden Familien aus Bangkok. Da gibt es die Reisbauern, die ihre politische Macht erkannt haben, nun mitbestimmen wollen und bei den Gefolgsleuten Thaksins ihre Interessen am Besten aufgehoben sehen. Da gibt es die städtische Mittelschicht, die Angst vor dieser Massenbewegung hat und empört über die Vetternwirtschaft der Thaksin-Parteigänger ist.
Thailand droht daran zu zerbrechen, dass die Politik keinen Ausgleich für diese Widersprüche und unterschiedlichen Interessen gefunden hat. Die Demokratische Partei (DP) als Vertreterin der alten Eliten und der Mittelschicht hat es nicht geschafft, die Armen und die untere Mittelschicht auf ihre Seite zu ziehen und wirkt nun aktiv an einer Torpedierung der Massendemokratie mit – die DP hat die letzten Wahlen im Februar boykottiert. Und Suthep, der Anführer der Protestbewegung gegen die nun gestürzte Regierung, stammt aus den Reihen der DP. Den Thaksin-Parteien wiederum ist es nie gelungen, ihren Gegnern die Angst vor ihrer Massenbewegung zu nehmen.
Der Militärputsch löst dieses Problem nicht, sondern schiebt es höchstens auf. Armeechef Prayuth Chan-ocha verkündete, dass das Militär die Macht hätte übernehmen müssen, "um die politischen, ökonomischen und sozialen Strukturen zu reformieren". Doch dieser Wandel lässt sich nicht von oben dekretieren.
Die Armee kann den Staat nicht auf Dauer führen. Dass sie in der Zeit ihrer Regentschaft das Land aus der politischen Sackgasse führt, ist unwahrscheinlich. Stattdessen wird sie alle Hände voll zu tun haben, die Lage und dabei vor allem die zornigen Rothemden vorübergehend ruhig zu halten. Gelingt ihr auch das nicht, droht Thailand auf ein noch größeres Desaster zuzuschreiten.