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Die Armut wächst - aber über neues Geld wird vorerst nur geredet

Von Christiane Oelrich, Washington

Wirtschaft

In der Aufbruchstimmung der Jahrtausendwende haben Politiker den Ärmsten in aller Welt hehre Versprechen gemacht: unter anderem soll die Zahl derer, die in bitterster Armut leben, bis 2015 halbiert werden. Zehn Jahre vor dem Zieldatum ist aber klar, dass es gerade für die meisten Länder südlich der Sahara schwarz aussieht. Es fehlt massiv an Geld. Auf die reichen Länder wächst der Druck, endlich etwas zu tun.


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"Über Steuern auf Kerosin, Flugtickets, Waffen- oder Devisengeschäfte zur Finanzierung der Entwicklung zu reden ist plötzlich wieder salonfähig", sagte ein Diplomat am Wochenende bei der Frühjahrstagung von Währungsfonds (IWF) und Weltbank in Washington. Der deutsche Finanzminister Hans Eichel setzte sich fast enthusiastisch für die Besteuerung des Flugverkehrs ein. "Es ist nur eine Frage des politischen Willens", sagte er. Natürlich müssten alle mitziehen, weil sonst der Wettbewerb verzerrt werde.

Dass solche Vorschläge aber tatsächlich baldige Früchte tragen, glauben selbst Optimisten nicht. "Hier wird noch vor allem geredet, bekräftigt und beteuert", meinte der Diplomat. Die USA lehnen alles, was den Hauch von neuen Steuern hat, ohnehin ab. "Langfristig ist das alles gut und schön", meinte Sony Kapoor. Der Ex-Investmentbanker, der heute für "Jubilee Research" Studien zur Entwicklungsfinanzierung erarbeitet, fürchtet dabei Ablenkungsmanöver.

"Solche Ideen dürfen nicht den dringend nötigen Schuldenerlass von der Tagesordnung verdrängen", sagt er. Entwicklungsgruppen sehen darin die beste Chance, so schnell wie möglich Geld in den Haushalten der ärmsten Länder für Gesundheit und Bildung freizumachen. "Afrika zahlt im Jahr mehr als 13 Mrd. Dollar für Kredite zurück. Der Kampf gegen Aids würde im Jahr 12 Mrd. Dollar kosten", sagte Marie Clarke Brill von "Africa Action".

Doch die reichen Länder wollen Schulden nicht ohne Auflagen erlassen. Damit werde alter Leichtsinn der Schuldner belohnt und gute Zahlungsmoral derjenigen, die ihre Schulden getilgt haben, bestraft. Entwicklungsgruppen sehen das anders. Dass reiche Länder Kreditgeschäfte mit Diktatoren machten, die ihre eigenen Taschen füllten, dürften jetzt nicht die Ärmsten ausbaden. "Die Menschen sollen Geld zurückzahlen, von dem sie nie profitiert haben", sagt Lidy Nacpil, die auf den Philippinen für Schuldenerlass kämpft.

Die sieben wichtigsten Industriestaaten (G-7) hatten den ärmsten Ländern im Februar "bis zu 100%" Schuldenerlass bei den multilateralen Organisationen in Aussicht gestellt. Insgesamt wären das 28 Mrd. Dollar.

Doch sieht es derzeit noch nicht danach aus. "Schuldenerlass muss an Bedingungen geknüpft werden", forderte Eichel in Washington. Mit Analysen der Schuldentragfähigkeit müsse geprüft werden, wieviel Schulden die Ländern weiter tragen könnten.

So wurde auch bei der HIPC-Initiative verfahren. Unter der Aufsicht von IWF und Weltbank wurden 27 Ländern bislang 18,4 Mrd. Dollar erlassen. Sie verpflichten sich, das eingesparte Geld in die Armutsbekämpfung zu stecken. Doch selbst mit dem Schuldenrest sind die meisten überfordert, räumt die Weltbank ein. Entwicklungsgruppen halten das Konzept für gescheitert.

Sie drängen den IWF, seine riesigen Goldbestände von mehr als 3.000 Tonnen zu verkaufen, um die Schulden der Ärmsten zu tilgen. Doch die reichen Länder, die als größte Beitragszahler das Sagen im IWF haben, bremsen: "Wir dürfen diese Rücklage für Krisenzeiten nicht leichtfertig aufgeben", mahnte ein westlicher Diplomat. So geht die Diskussion weiter - "während in Afrika jeden Tag 6.000 Menschen an Aids sterben", wie Debi Kar von "Jubilee USA" sagt. Die Vertreter der reichen Länder vertrösteten Ungeduldige auf Juli: beim G8-Gipfel in Schottland seien konkrete Zusagen zu erwarten. dpa