Zum Hauptinhalt springen

Die Aromen im Kleingedruckten

Von Georg Friesenbichler

Analysen
0

Was Essen mit der Politik zu tun hat: Die EU hätte gern, dass wir uns gesünder ernähren - aber das ist leichter gesagt als getan.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Man kann wahrlich nicht behaupten, dass sich die EU nicht um unsere Gesundheit sorgt. So bemüht sich etwa ein "Hochrangiges Gremium für Ernährung und körperliche Betätigung" mit Regierungsvertretern aus allen EU-Staaten um den Kampf gegen Übergewicht und andere nahrungsbedingte Gesundheitsschäden. Zu diesem Zweck sollen etwa Salz und gesättigte Fette in Lebensmitteln reduziert werden.

Im Wesentlichen kann das Gremium aber nur Empfehlungen an die einzelnen Mitgliedstaaten abgeben, wie diese die hehren EU-Ziele in ihre nationale Politik umsetzen sollen. Dafür werden auch noch lange Übergangsfristen gewährt, bei der Fettreduktion um 10 Prozent gar bis zum Jahr 2020.

Dass alles so langsam geht, hat natürlich - wie in Brüssel üblich - mit den Lobbys zu tun. Und die der Lebensmittelindustrie ist mächtig, weil bedeutsam: Nach dem Metallsektor ist sie die zweitstärkste Branche innerhalb des Verarbeitenden Gewerbes, mit einem jährlichen Umsatz von 900 Milliarden Euro.

Die neue Lebensmittelkennzeichnung etwa soll erst Ende 2014 in Kraft treten. Den Kritikern geht sie ohnehin nicht weit genug, weil man erst das Kleingedruckte genau lesen muss, um die Qualität des Angebotenen beurteilen zu können.

Obwohl das Lebensmittelrecht in den deutschsprachigen Ländern schon einiges von den EU-Vorschriften vorwegnimmt, lässt es doch noch Unschärfen zu: Allgemeine Angaben wie "Aromen" oder "Gewürze" helfen jenen Menschen wenig, die sich zwangsweise mit den enthaltenen Zusatzstoffen beschäftigen müssen, beispielsweise Allergikern. Für sie geht es dabei nicht bloß um irgendwelche fragwürdigen Diäten, sondern um den Kampf gegen teilweise erhebliche Beeinträchtigungen ihres täglichen Lebens.

Im Supermarkt haben sie dabei schlechte Karten. Denn welcher Berufstätige hat schon die Zeit, in den paar Minuten zwischen Arbeitsende und Ladenschluss die wenigen Lebensmittel herauszufiltern, die keinen Hefeextrakt oder Haltbarmacher enthalten? Und gerade der Job ist es auch oft, der zu Fertigprodukten greifen lässt, weil zu Hause womöglich hungrige Mäuler ungeduldig auf Stopfung warten.

Dieses sogenannte Convenience-Food ist auf dem Vormarsch, eben weil sich die in der Bezeichnung angesprochene Annehmlichkeit an Single-Haushalte ebenso richtet wie an gestresste Mütter. Gleichzeitig reduziert es allerdings das Angebot in den Regalen - Kartoffelteig oder -püree im Packerl sind wesentlich einfacher zu ergattern als mehlige Erdäpfel. Indes machen sogar manche Spitzenköche, die uns in ihren Fernsehshows eindringlich zur Nutzung frischer Zutaten mahnen, beim Trend zum Fertigfutter mit. Aber weil dieses Essen notwendigerweise ungesunde Zusatzstoffe enthält, steht es im Gegensatz zum Wunsch nach gesunder Nahrung, den die Konsumenten gleichfalls hegen - dem sie aber meist aus den geschilderten Gründen nicht nachkommen können. Solange die EU und ihre Staaten also nicht auch an den Lebensumständen ihrer Bürger etwas ändern wollen, gehen Aktionen und Appelle zu gesünderer Ernährung ins Leere.