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Die Artisten des Zirkus Karajani

Von Markus Kauffmann

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Markus Kauffmann , seit 22 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.

Ein Elite-Orchester feiert heuer 125. Geburtstag: die Berliner Philharmoniker. Vierzig Jahre nach den "Wienern" gründeten ein paar Dutzend Musiker aus Frust ihre eigene Kapelle. | Hand aufs Herz: Wüssten Sie, wo genau Meiningen liegt? Wenn nicht, geht es Ihnen wie 1882 den Berlinern, als die Aufführung von Beethovens Schicksalssymphonie durch die "Meininger Hofkapelle" angekündigt wurde: Da greife wohl eine Provinzkapelle nach den Sternen.


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Doch als der spitzbärtige Hans von Bülow den Taktstock senkte, verstummten die Sottisen. Ausgerechnet ein Sachse führte ihnen vor Augen, "dass in den Darbietungen unserer Berliner Orchester bisher ein heilloser Schlendrian geherrscht hatte". Der Pionier des modernen Dirigentenbildes - vom Taktschläger zum Interpreten - hatte die Berliner beschämt.

Unter anderen die "Bilsesche Kapelle". Benjamin Bilse, der bei Johann Strauß Vater gelernt hatte, gründete 1867 in Berlin ein Unterhaltungsorchester. Das spielte auch Liszt, Saint-Saëns, Tschaikowski und Brahms und gewann sogar Richard Wagner als Gastdirigent.

So begabt Bilse künstlerisch gewesen sein mag, finanziell war er knauserig. Vor einem Gastspiel in Warschau verlassen 50 der 56 Musiker die Truppe. Der Maestro hatte seinen Leuten die vierte Bahnklasse (Holzbänke ohne Dach) und eine Gehaltskürzung zugemutet. Sie gründeten ihr eigenes Orchester, zogen in eine umgebaute Rollschuhbahn und nannten sich fortan "Philharmonisches Orchester".

Im Gegensatz zur verbreiteten Meinung war Bülow keineswegs ihr erster Dirigent. Erst fünf Jahre nach der Gründung holte die "Orchesterrepublik" (sie wählt bis heute ihre Chefs selbst) den Schwiegersohn Liszts aus Meiningen als Chefdirigenten.

1895 folgte Arthur Nikisch, ein Geiger, als Dirigent ruhig und sparsam, doch von großer Suggestivität. Er erweitert das Repertoire in Richtung Bruckner, Tschaikowski, Berlioz, Liszt, Richard Strauss und Mahler.

Durch die schwerste Zeit, in wirtschaftlicher wie politischer Hinsicht, führt Wilhelm Furtwängler ab 1922 das Orchester. Und setzt neue Akzente: Neben Klassik und deutscher Romantik bringt der Philosoph am Dirigentenpult auch Zeitgenössisches wie Hindemith, Prokofjew, Strawinski oder Schönberg.

Obgleich nie Mitglied der NSDAP, darf er erst nach einem Entnazifizierungsverfahren 1947 ans Pult des Orchesters zurückkehren. Der in der Zwischenzeit bestellte Russe Leo Borchard wird von einem US-Soldaten irrtümlich erschossen. Gemeinsam mit dem noch unerfahrenen Sergiu Celibidache leitet Furtwängler die Philharmoniker bis zu seinem Tod im Jahr 1954.

Danach wählen die Musiker Herbert von Karajan. Er steht dem Orchester länger vor als jeder andere, 34 Jahre, er hat es geprägt wie kein anderer, er hat es mit eiserner Disziplin von einem Orchester zu einem unverwechselbaren Klangkörper von mächtiger Wirkung und seidiger Transparenz verwandelt. Unter seiner Ägide entstand auch die neue, von Hans Scharoun erbaute "Philharmonie", ihres zeltartigen Daches wegen "Zirkus Karajani" genannt.

Karajan trat "wegen Differenzen mit dem Orchester" im April 1989 zurück, drei Monate später starb er. Ihm folgten Claudio Abbado, der das Orchester entscheidend verjüngte, und seit 2002 Sir Simon Rattle, in dessen Zeit die Philharmoniker zu einer Stiftung in Trägerschaft des Landes Berlin umgewandelt wurden. Durch großzügiges Engagement der Deutschen Bank können sie unabhängiger und flexibler wirtschaften. Rattle selbst bezeichnet die letzten fünf Jahre als eine Übergangszeit, "in der sich die Stadt, das Orchester und der Dirigent erst aufeinander einstellen" müssten.

Jeder von ihnen hat den Philharmonikern seinen Stempel aufgedrückt - aber keiner hat sie völlig umgedreht. 125 Jahre Kontinuität im Wandel.