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Die ätherischen Klänge des Lew Termen

Von Christian Pinter

Reflexionen

Vor 125 Jahren wurde der Erfinder des Theremins geboren, der auch als Wegbereiter für den Synthesizer gilt.


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Lew Termen mit Theremin (Ausschnitt).
© ullstein bild / ullstein bild via getty images

Am 27. August 1896 kommt in St. Petersburg, der Hauptstadt des zaristischen Russlands, Lew Termen zur Welt. Als Schüler richtet er eine kleine Sternwarte im elterlichen Garten ein. Sein Studium der Physik und Mathematik wird durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen: Der junge Offizier erhält eine Ausbildung in Radiotechnik. Dann forscht er am Physikalisch-Technischen Institut seiner Heimatstadt.

Auf Basis der noch jungen Radiotechnologie entwickelt er einen Bewegungsmelder und ein Messgerät, das die Dichte gasförmiger Stoffe bestimmt. Bei beiden Geräten ändert sich der elektronisch erzeugte Signalton, wenn sich Termen bewegt. Dies regt den Amateur-Cellisten zur Konstruktion eines neuen Musikinstruments an, das völlig ohne Berührung gespielt wird. Er präsentiert es im Oktober 1920.

Der junge Bolschewik führt sogar Lenins Hände, als dieser damit "Die Lerche" spielt - eine von Michail Glinka 1840 geschriebene Romanze. Lenin will mit dem elektronischen Instrument Propaganda für die Elektrifizierung machen. Deshalb schickt er Termen auf Konzerttournee durch Russland. Dabei erklingt oft "Der Schwan" - ein Satz aus dem "Karneval der Tiere". Camille Saint-Saëns hat diese Suite 1886 in Österreich komponiert.

Säge, Geige, Stimme?

Lange haben Menschen an die Existenz des Äthers geglaubt, ein unsichtbares Medium, das sowohl Licht als auch Radiowellen transportieren soll. Obwohl es Fiktion ist, tauft Termen sein Instrument Ätherophon. Die Klänge scheinen nämlich gleichsam "aus dem Äther" zu kommen. Später wird man vom Theremin sprechen.

Große Spulen und Elektronenröhren dominieren das Innere des RCA-Theremins.
© Pinter

Aus dem hölzernen Kasten ragen zwei antennenähnliche Stäbe. Bei einem Radio besteht der Schwingkreis, mit dem man auf den Sender abstimmt, aus einer Spule und einem Drehkondensator: Die einstellbare Überlappung der Kondensatorplatten regelt die Frequenz. Beim Theremin ersetzt der senkrechte Stab eine der beiden Platten, der Musiker die andere: Je näher seine rechte Hand diesem Stab kommt, desto höher die Frequenz der erzeugten Schwingung.

Das Portamento ist dem Theremin angeboren: Beim Sprung von einer Note zur nächsten gleitet es kontinuierlich über sämtliche Töne dazwischen. Um die Lautstärke zwischendurch zu dämpfen, nähert sich die linke Hand dem zweiten, waagrechten Stab. Zitterbewegungen sorgen rechts für ein Vibrato, links für ein Tremolo. Zuschaltbare Filter bestimmen die Klangfarbe: Einmal meint man, einer singenden Säge, dann einer Geige und schließlich einer hohen Frauenstimme zu lauschen.

Die Spieltechnik - stehend und mit ausgestreckten Armen - wirkt geheimnisvoll, fast hypnotisch. Es scheint, als ließe ein Schlangenbeschwörer Töne tanzen. Allerdings fehlen sichtbare Anhaltspunkte, um die richtige Note zu treffen. Außerdem bringt das Theremin keine zwei Töne gleichzeitig hervor: Monophon wie eine Flöte, sehnt es sich nach Klavier- oder Orchesterbegleitung.

Nach gut 180 Konzerten in Russland reist Termen ins Ausland, wo er auch Industriespionage für den sowjetischen Geheimdienst betreiben soll. Seine Erfindungen öffnen ihm Türen. Der schlanke Mann mit schmalem Gesicht, Oberlippenbart und braunem Haar nennt sich nun Leon Theremin. Er sorgt mit seinem Musikinstrument in mehreren deutschen Städten für Aufsehen, gastiert in der Londoner Royal Albert Hall und in der Pariser Oper.

Ende 1927 bezieht er in New York Quartier. Auch dort ist das Interesse enorm. "Musik aus dem Äther", kündigt ein Flugblatt der Metropolitan Opera an, "produziert durch freies Bewegen der Hände in der Luft". Der Russe bildet Thereministinnen aus, darunter Alexandra Stepanoff, Clara Rockmore und Lucie Rosen. Dann erwirbt die Radio Corporation of America (RCA) das Patent, fertigt das Theremin erstmals in hoher Stückzahl an. Die Werbung verspricht dem Käufer ein überaus leichtes Musizieren, ohne mühsames Üben. Doch auf die Markteinführung im Jahr 1929 folgen der Börsenkrach und die Große Wirtschaftskrise. RCA verkauft nicht einmal 500 Stück.

Leon steckt voll weiterer Ideen: automatische Türöffner, Funkmikrofone, Höhenmesser für Flugzeuge oder Kontrollinstrumente für das Automobil. Sein Waffendetektor versagt in Alcatraz. Der Erfinder gründet mehrere Firmen und ist bald verschuldet. Als er Verstärker für eine afroamerikanische Tanzgruppe installiert, lernt er die um 20 Jahre jüngere Lavinia Williams kennen. Die 1938 geschlossene Ehe mit der farbigen Tänzerin erschwert die Suche nach Geldgebern. Den Russen plagen Schulden und Heimweh. Der Geheimdienst schmuggelt ihn im September 1938 auf einem Frachtschiff außer Landes. Lavinia bleibt zurück. Sie glaubt an eine Entführung ihres Gatten.

Zwei Jahre später siedelt sich Max Brand in New York an. Er wurde, wie Leon Theremin, 1896 geboren, aber im seinerzeit zu Österreich-Ungarn zählenden Lemberg. Als er elf war, zog die jüdische Familie nach Wien. Brand schuf später Werke für Klavier, Sopran und Orchester. Seine Oper "Maschinist Hopkins" erklang 1929 auf drei Dutzend Bühnen. Die Nazis beendeten seine Karriere; Brand emigrierte in die USA. Sein szenisches Oratorium "The Gate" wird an der Metropolitan, seine sinfonische Dichtung "The Wonderfull One-Hoss-Shay" vom Philadelphia Orchestra aufgeführt.

Lauschangriff

Stalins Terror kostet Millionen Menschen das Leben. Kurz nach seiner Heimkehr wird Leon Theremin - jetzt wieder Lew Termen - in Moskau verhaftet. Im August 1939 verdammt man ihn zu acht Jahren Arbeitslager in der berüchtigten Kolyma-Region. Hier bauen Zwangsarbeiter unter unmenschlichsten Bedingungen Bodenschätze ab. Der Zweite Weltkrieg rettet Termen wahrscheinlich das Leben. Denn jetzt braucht Stalin Techniker für die Waffenentwicklung. Der Gefangene wird von Ostsibirien in ein Moskauer Speziallager überstellt. Der ebenfalls inhaftierte Flugzeugkonstrukteur Andrei Tupolew hat ihn und andere Spezialisten angefordert: Termen soll an der Instrumentierung hochfliegender Bomber arbeiten. Dabei lernt er den verurteilten Raketenpionier Sergei Koroljow kennen - später die geheime, treibende Kraft der sowjetischen Raumfahrt.

Die PC-Synthesizer-Software "Voltage Modular" ahmt hier gerade ein Theremin nach.
© Pinter

Dann entwickelt Termen Abhörgeräte. Junge Pioniere überreichen dem US-Botschafter in Moskau 1945 ein geschnitztes Großes Siegel der USA. Im hölzernen Weißkopfseeadler verbirgt sich ein Kondensatormikrofon samt Antenne. Es benötigt keine Batterie, sondern wird zeitweise mit Radiowellen um 330 MHz angestrahlt. Die Mikrofonmembran schwingt im Takt gesprochener Worte und strahlt ein entsprechend moduliertes Signal zurück. Die Wanze bleibt sieben Jahre unentdeckt. Außerdem erfindet Termen einen Vorläufer des Lasermikrofons: Ein unsichtbarer Infrarotstrahl wird auf die Fensterscheiben ausländischer Botschaften gerichtet. Das Glas vibriert ganz leicht im Rhythmus der Stimmen dahinter. Das reflektierte IR-Licht verrät den Gesprächsinhalt. Dafür heimst Termen den geheimen Stalinpreis ein.

Im Westen ist Termen vergessen. Sein Theremin findet aber zur Untermalung außergewöhnlicher Filmszenen Verwendung. Max Brand kann im Genre Filmmusik nicht Fuß fassen. Als ab 1961 Menschen die Erde umkreisen, komponiert er das Epos "The Astronauts". Da ihn elektronische Musik fesselt, wendet er sich an Robert Moog. Geboren 1934 in New York, baute dieser sein erstes Theremin im Alter von 15 Jahren. Bald verschickte er einschlägige Bausätze. Das dabei erworbene Wissen und der Klang dieses elektronischen Musikinstruments regen Moog in den 60er Jahren zum Bau von Synthesizern an. Die nötigen Module entwickelt er in Zusammenarbeit mit Musikern, die nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten suchen.

Moogs Synthesizermodule, darunter Schwingungsgeber, Verstärker und Filter, sind spannungsgesteuert. Noch während die Taste auf der Klaviatur gedrückt ist, können Tonhöhe, Lautstärke oder Klang in weiten Grenzen verändert werden. Dabei hört man auch neue, völlig unvertraute Klänge. Manche muten an, als wären sie nicht von dieser Welt.

Das Moogtonium

Die Module werden in unterschiedlichen Konfigurationen genutzt und mit Klinkensteckerkabeln verbunden. Das mündet in einem wahren Kabelsalat. Die schrankgroßen Geräte eignen sich für Studios, aber kaum für die Bühne. Nach zweijährigem Gedankenaustausch liefert Moog 1968 einen speziell auf Max Brands Vorstellungen zugeschnittenen Synthesizer. Dieses zweimanualige Moogtonium wird zum Herzen des Brand’schen Heimstudios in New York. Mehrspurige Tonbandmaschinen ergänzen es.

Moogs legendärer Bühnensynthesizer Minimoog im Technischen Museum Wien.
© Pinter

Mit einem Moog’schen Studiosynthesizer und Kompositionen von Johann Sebastian Bach nimmt Wendy Carlos 1968 eine epochale LP auf: "Switched-On Bach" verkauft sich eine Million Mal. Danach produziert Moog zwei oder drei Modulsynthesizer pro Woche. 1970 stellt er den kompakten Minimoog vor: Der Kabelsalat ist verschwunden, die Baugruppen im Inneren sind fix über Schalter verbunden. 13.000 Exemplare werden ausgeliefert, auch an Jean-Michel Jarre, Kraftwerk oder Pink Floyd.

1975 kehrt Max Brand nach Österreich zurück und bezieht ein Haus in Langenzersdorf bei Wien. Das Moogtonium erleidet im Hamburger Hafen schwere Schäden. Die Instandsetzung braucht Jahre. Doch dann ist Brand krank und dement. Er stirbt, 84-jährig, im April 1980. Das Moogtonium findet schließlich im Langenzersdorfer Museum LEMU Platz.

Max Brands Moogtonium mit drei Tonbandgeräten im LEMU.
© Pinter

Nach dem Ende seiner Geheimdienstkarriere produziert Lew Termen elektronische Klangeffekte für Radio Moskau, arbeitet am Moskauer Konservatorium und an der Lomonossow-Universität. Ab 1989 tritt er mit seinem Theremin bei Musikfestivals in Bourges, Stockholm und Den Haag auf. Als ihn ein Dokumentarfilmer in die USA holt, trifft er nochmals seine einstige Schülerin Clara Rockmore, aber auch Robert Moog, Wendy Carlos sowie Albert Glinsky. Dieser Komponist verfasst eine packende Biografie: "Theremin - Ether Music and Espionage" (University of Illinois Press, 2000).

Lew Termen, der Beginn und Ende der Sowjetunion miterlebt hat, stirbt 1993 in Moskau - im Alter von 97 Jahren.

Christian Pinter, geboren 1959 in Wien, schreibt im "extra" seit 1991 hauptsächlich über Astronomie und Raumfahrt.

www.himmelszelt.at