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Als verspäteter Faschingsbeitrag aus Mainz waren sie wohl nicht gedacht, die mahnenden Worte des Kommunikationswissenschafters Hans Mathias Kepplinger in einem "Standard"-Interview zur Berichterstattung deutscher Medien über die Erdbeben- und Atomenergiekatastrophe in Japan.
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Sie konzentriere sich permanent auf "die Parallelität der Kernkraftrisiken in Japan mit jenen in Deutschland", kritisiert Kepplinger. Was ist in seinen Augen ein angemesseneres journalistisches Handeln? Sollten Medien also nicht der Frage nachgehen, ob in Deutschland oder anderen Ländern aufgrund der gleichen Technologie ähnliche Risiken bestehen? Er verrät es in jenem Interview nicht, sondern erhebt weitere Vorwürfe: "Die Konzentration der Berichterstattung auf die angebliche Ähnlichkeit der Risiken folgt genau dem Muster von Tschernobyl. Schon damals widmete die Presse das Thema sofort von einem russischen zu einem deutschen Risiko um. Ein Teil der Medien instrumentalisiert Kernkraft, um Politik zu machen." Polemisch könnte man darauf antworten, dass ein Teil der deutschen Kommunikationswissenschaft Studien über die Medienberichterstattung instrumentalisiere, um Politik zu machen. Kepplinger war mit derartigen Vorwürfen etwa in den 80er Jahren konfrontiert. Er wurde seither nicht müde, den deutschen Journalistinnen und Journalisten zu attestieren, sie seien mehrheitlich links oder grün.
Nun erfahren wir von ihm im aktuellen Interview: "Die Mehrheit der deutschen Journalisten ist gegen Atomkraft." Ist das ein Problem? Hindert das daran, die journalistische Berufsrolle ordentlich wahrzunehmen? Aus der Forschung wissen wir, dass individuelle Einstellungen relativ wenig Einfluss auf die Berichterstattung haben. Eine kritische Grundhaltung ist allerdings gerade bei dieser Thematik besonders bedeutsam, um die Kritik- und Kontrollfunktion des Journalismus tatsächlich zu leisten. Da die Nuklearenergie-Lobbies in fast allen Ländern erfolgreich die Politik dazu bewegt haben, auf Kernenergie zu setzen, Medien oft Empfänger saftiger Anzeigenaufträge und geschickter PR-Strategien sind, ist es umso wichtiger, dass Journalistinnen und Journalisten die Autonomie ihres Urteils möglichst sicherstellen und vor allem nicht aufhören, kritisch alle Fragen zu stellen. In diesem Sinn müsste sich mein Mainzer Kollege eigentlich freuen, dass eine Mehrheit der Berufsgruppe Atomenergie gegenüber kritisch eingestellt ist.
Im Übrigen ist die breite kritische Berichterstattung in einigen europäischen Ländern auch für Japan bedeutsam, da der kontrollierende Journalismus dort eine verhältnismäßig kurze Tradition hat und die Interessen der Atomindustrie stark durchschlagen. Der ORF-Korrespondent Franz Norman in Tokio verwies letzten Sonntag "Im Zentrum" zu Recht darauf, dass "aus dem Ausland mehr Nachrichten über die Katastrophe" kämen als "von hier. Dem, was hier gesagt wird, kann man nicht zu 100 Prozent trauen."
Ao. Univ.-Prof. Dr. Fritz Hausjell lehrt Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien.