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Die Ausbeutung durch das Kapital trifft immer größere Bevölkerungsgruppen

Von Doris Bures

Politik

Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 26 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Sozialdemokratie bedeutet bewußtes gesellschaftliches Handeln, das auf den Grundsätzen der Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität aufbaut. Dieses Anforderungsprofil an unser

politisches Engagement drückt sehr viel von dem aus, woran wir uns orientieren. Der Diskussionsprozeß innerhalb der Sozialdemokratie beweist, daß es notwendig ist, die eigenen Vorstellungen einer

gerechten Gesellschaft regelmäßig auf ihre Gültigkeit und Umsetzbarkeit zu überprüfen.

Das Parteiprogramm setzt die großen handlungsleitenden Grundlinien unserer Bewegung fest. Es beschreibt die mittel- und langfristigen Ziele, die wir uns setzen, um die Gesellschaft zum Wohl der

Menschen zu verändern.

Nicht zuletzt werden wir auch daran gemessen: einerseits deswegen, weil die Menschen wissen wollen, wofür die Partei steht, die sie wählen sollen · andererseits, weil es, was die mittelfristigen

Maßnahmen betrifft, auf seine Einhaltung überprüfbar ist.

Die Notwendigkeit ein neues Parteiprogramm zu diskutieren war unbestritten gegeben. Die Veränderungen der Gesellschaft und des politischen Umfeldes schreitet seit der letzten Programmdiskussion 1978

in großen Schritten voran. Der Zusammenbruch des kommunistischen Systems (Fall des Eisernen Vorhanges, Ostöffnung) stellt die Sozialdemokratie vor neue Aufgaben.

Das ist eine bedeutsame Aufgabe und Chance!

Die Mehrheit der Staaten der Europäischen Union hat heute wieder sozialdemokratisch dominierte Regierungen. Das gibt uns erstmals europaweit die Möglichkeit, die Vorstellungen einer demokratischen

und sozialen Gesellschaft zu verwirklichen. Die Programmdiskussion hat daher nicht nur eine nationale, sondern auch eine europaweite Bedeutung: Wie kann die Sozialdemokratie den "europäischen

Sozialstaat" mit solidarischem Bewußtsein verwirklichen?

Die Arbeit am neuen Parteiprogramm ist ein Schritt zur Vertiefung und Überprüfung sozialdemokratischer Inhalte. Sie ist auch eine Auseinandersetzung mit der Gesellschaft und deren Reform.

Unzweifelhaft kann erkannt werden, daß sich die Gesellschaft und ihre Klassen gewandelt haben. Der Klassenwiderspruch ist ein anderer geworden, ohne verschwunden zu sein.

Die traditionelle Klassengesellschaft hat sich nur gewandelt · der Widerspruch Arbeit und Kapital kann nicht mehr so einfach auf den Widerspruch UnternehmerIn · ArbeitnehmerIn beschränkt werden.

Die Klassengesellschaft hat sich zu einer Gesellschaft verschiedener Risikogruppen gewandelt. Die soziale Bedrohung durch den Kapitalismus ist bei verschieden ArbeitnehmerInnen aber auch bei

UnternehmerInnen unterschiedlich stark gegeben. Die Ausbeutung durch das Kapital betrifft dennoch immer größere Bevölkerungsgruppen, auch solche, die nicht auf den ersten Blick zu den Ausgebeuteten

zählen: Zulieferbetriebe, EinzelhandelsunternehmerInnen und Menschen, die sich in die Selbständigkeit "geflüchtet" haben.

Die Gewinner dieses Monopolkapitalismus sind die internationalen Großkonzerne, die immer neue Allianzen eingehen, einerseits um selbst dem enormen Konkurrenzdruck gewachsen zu sein, und andererseits

um selbst Druck erzeugen zu können: Shareholders-Value, Derivatgeschäfte und Spekulationsgewinne geben den Ton global an. Die dadurch entstehende neue Massenarbeitslosigkeit in Gebieten, die

gleichzeitig Motor der Weltwirtschaft sind (Beispiel Europa) drücken diese Situation am besten aus.

Die Verlierer sind international die Nationalökonomien und dadurch die Menschen, die auf die Hilfe durch den Staat am meisten angewiesen sind.

Dieser neue Widerspruch gibt bei fast allen politischen Diskussionen, und so auch bei der Diskussion des Parteiprogrammes, den Ton an.

Der erste Programmentwurf war der Vorstoß der Partei-Elite, der keinen Anspruch auf Vollständigkeit hatte und Anstoß zur Diskussion sein sollte. Durch zahlreiche Stellungnahmen und Anträge wird

dieser Entwurf nach und nach zu einem neuen Programm für die Sozialdemokratie. Mehr als 350 Stellungnahmen beweisen die engagierte, kritische und eingehende Auseinandersetzung mit dem neuen Programm.

Die Einschätzung der aktuellen gesellschaftlichen Situation und der notwendigen Maßnahmen wurde also von vielen FunktionärenInnen der SPÖ gemeinsam vorgenommen. Und so wird das Parteiprogramm breit

getragene Strategien von SozialdemokratInnen zur Veränderung der Gesellschaft darstellen. Der gewählte mehrstufige Weg, in dem viele FunktionäreInnen die Möglichkeit hatten, Wünsche, Hoffnungen und

Anforderungen zu formulieren, erwies sich als zielführend.

Am Beispiel der Grundwerte der SPÖ läßt sich nachvollziehen, wie der Diskussionsprozeß diesen ersten Entwurf verändert hat. Standen etwa ursprünglich die Grundwerte ohne Beziehung zueinander, steht

jetzt im Antrag der SPÖ Wien: "Alle diese Grundwerte · Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität · sind gleichrangig. Nur ihre gemeinsame Verwirklichung kann allen Menschen ohne Unterschied

des Geschlechts, der Nation oder Klasse, der Religion oder Rasse ein erfülltes Leben in Frieden und Freiheit gewährleisten."

Ich bin überzeugt: Der Versuch, das Gesamtprogramm in sich stimmig und abgeschlossen zu gestalten, wird gelingen, und es wird ein Parteiprogramm sein, das für die nächsten Jahrzehnte richtungsweisend

ist, und von allen getragen wird. Doch der wesentlich schwerere Schritt, dieses Programm in politische Realität umzusetzen, liegt noch vor uns.