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Die Ausgeschlossenen

Von Paul Schmidt

Gastkommentare
Paul Schmidt ist Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE).
© ÖGfE

Das Recht geht vom Volk aus - für Millionen EU-Bürger gilt das aber nicht.


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Wien hat gewählt. Ganz Wien?

Nein. Nicht alle Wienerinnen und Wiener hatten die Wahl. Rund 30 Prozent der Wiener Bevölkerung durften nicht mitbestimmen.
13 Prozent, immerhin 230.000 Personen, sind EU-Bürger, deren Wahlberechtigte zwar die Bezirksvertretung und alle fünf Jahre die Zusammensetzung des EU-Parlaments, jedoch nicht den Wiener Gemeinderat beziehungsweise Landtag wählen können. Gesetzgebende Institutionen werden hierzulande gegenwärtig ausschließlich von österreichischen Staatsbürgern gewählt.

Die Zeiten aber ändern sich. Es ist schwer verständlich, welche besondere Bindung eine etwa in Belgien geborene und lebende Österreicherin mit ihrem Heimatland haben soll. Weder lebt noch arbeitet sie hier, trotzdem darf sie wählen und mitbestimmen, wer in Österreich Gesetze verabschiedet. Gesetze, die wiederum für einen in Österreich dauerhaft lebenden Belgier Gültigkeit haben, ohne dass dieser je darauf Einfluss ausüben könnte. Aber ist das ein tragfähiges Modell für eine mobiler werdende Gesellschaft? Bin ich als EU-Bürger doch nicht überall gleich?

17 Millionen EU-Bürger leben in einem anderen EU-Staat, fast doppelt so viele wie noch vor einem Jahrzehnt. In ganz Österreich sind es etwa 372.000, in Luxemburg fast die Hälfte der Bevölkerung. Die steigende Mobilität führt nicht nur dazu, dass immer mehr Europäer am Wohnsitz ein nur eingeschränktes Wahlrecht haben, mitunter verlieren sie sogar das Wahlrecht im Herkunftsland. Ein wachsendes Demokratiedefizit, dem man sich stellen muss. Das Recht geht vom Volk aus, und das ist eben zunehmend heterogener in einer Union der offenen Grenzen.

Was tun? Eine einfache Lösung gibt es nicht. Dass nicht wahlberechtigte Wiener die österreichische Staatsbürgerschaft annehmen, um mitentscheiden zu können, ist eine Möglichkeit, mit erheblichen Hürden. In der Regel kann nach zehn Jahren Daueraufenthalt ein nicht ganz unkomplizierter Antrag gestellt werden. 2019 erhielten gerade einmal 10.606 Personen die Staatsbürgerschaft, 1.915 davon waren Menschen aus anderen EU-Ländern.

Wäre ein offenerer Zugang zu Doppelstaatsbürgerschaften, um unsere Nachbarn zu integrieren, ohne sie zu entwurzeln, ein gangbarer Weg? Oder koppeln wir das Wahlrecht an die Steuern? Nehmen wir uns ein Beispiel an Uruguay oder Neuseeland, wo ausländische Staatsbürger an Parlamentswahlen teilnehmen dürfen? Man könnte die EU-Bürger aber auch, analog zur EU-Wahl, selbst entscheiden lassen, ob sie im Herkunfts- oder im Aufenthaltsland wählen. Eine Idee, die laut Eurobarometer-Umfrage EU-weit 63 Prozent und in Österreich 56 Prozent der Bevölkerung unterstützen. Mit dieser Forderung will auch die europäische Bürgerinitiative "Wählerinnen und Wähler ohne Grenzen" die EU-Kommission motivieren, initiativ zu werden.

Um den viel beschworenen europäischen Werten treu zu bleiben, müssten die EU und ihre Mitgliedstaaten das Flickwerk an divergierenden Wahlrechtsmodellen vor allem fairer und demokratischer gestalten. Ein universelles Wahlrecht für alle EU-Bürger würde jedenfalls zur Integration beitragen und die Entstehung einer transnationalen europäischen Demokratie fördern.