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Was hat Ilja Ponomarjow tatsächlich mit dem Mord an Darja Dugina zu tun?
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In der Nacht von Samstag auf Sonntag tötete im Großraum Moskau eine Autobombe die russische Journalistin, Politologin und rechtsextremistische Aktivistin Darja Dugina, Tochter Alexander Dugins, des neofaschistischen Vordenkers der modernen eurasischen Bewegung. Innerhalb weniger Stunden übernahm eine bisher unbekannte russische Gruppierung unter dem Namen Nationale Republikanische Armee (NRA) die Verantwortung für den Anschlag. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass Dugin das eigentliche Ziel des Anschlages war.
Die einzige Person, die sich bisher öffentlich zu Verbindungen mit der NRA bekannt hat, ist Ilja Ponomarjow - eine schillernde Persönlichkeit, die über viele Jahre überaus gute Beziehungen sowohl zur höchsten ukrainischen Führungsebene als auch zur Kreml-Administration und zu Wladislaw Surkowr, einer ehemaligen grauen Eminenz des Kreml, unterhielt. In seinem YouTube-Kanal verlas Ponomarjow ein angebliches Manifest der NRA.
Wer ist dieser Mann? Ponomarjow ist ein russischer IT-Unternehmer, Vizepräsident des Erdölkonzerns Yukos von Michail Chodorkowski, ehemaliger Parlamentsabgeordneter und Mitglied des Vorstandes der Partei "Gerechtes Russland". Ponomarjows Expertise im IT-Bereich und sein großes internationales Netzwerk führten unter der Präsidentschaft Dmitri Medwedews zu einer starken Involvierung in mehrere Regierungsprojekte zur Unterstützung von Innovationen und Hochtechnologietransfer. So war Ponomarjow einer der Ideengeber für die russische Innovationsstadt Skolkowo, ein dem Silicon Valley in den USA nachempfundenes Forschungs- und Industriegebiet, sowie Berater des Präsidenten der Skolkowo-Stiftung des Großunternehmers Wiktor Wekselberg.
Nachdem Ponomarjow im März 2014 als einziger Abgeordneter der russischen Staatsduma gegen die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim gestimmt hatte, folgte ein Parteiausschlussverfahren samt Entzug der parlamentarischen Immunität aufgrund angeblicher Unterschlagungsvorwürfe und schließlich 2016 der erzwungene Umzug in die Ukraine. Seit 2017 steht Ponomarjow unter Personenschutz des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes SBU, 2019 verlieh ihm der damalige Präsident Petro Poroschenko die ukrainische Staatsbürgerschaft. Nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 meldete sich Ponomarjow freiwillig zu den Streitkräften der Ukraine. Gegenüber der Deutschen Welle betonte er, nicht gegen Russland, sondern gegen Wladimir Putin, Putinismus und russischen Faschismus zu kämpfen.
"Operation Trust" reloaded?
Gerade die Vertrautheit Ponomarjows mit den Aktivitäten der sogenannten Nationalen Republikanischen Armee sät die größten Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit dieser Struktur und lässt jedenfalls die nebulösen Umrisse des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB im Dunstkreis dieser Bewegung erahnen. Aufgrund der Involvierung Ponomarjows bezeichnen einige Beobachter die NRA als eine "False-Flag-Operation" des Kreml und ziehen bereits Parallelen zur "Operation Trust", der erfolgreichsten sowjetischen Geheimdienstunternehmung der 1920er Jahre. Im Zuge dieser "Operation Trust" gründete die bolschewistische Geheimpolizei die "Monarchistische Union von Zentralrussland", eine vermeintliche antibolschewistische Widerstandsorganisation, die dem jungen sowjetischen Staat erfolgreich dabei half, Monarchisten und Gegner des bolschewistischen Regimes zu identifizieren.
Freilich könnte es sich beim Attentatsversuch auf Dugin um den Kampf innerhalb der russischen rechtsnationalen Szene oder auch um eine Inszenierung des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB handeln. Das Attentat würde einerseits einen willkommenen Vorwand für eine Verschärfung repressiver innenpolitischer Maßnahmen liefern und andererseits eine wichtige Signalwirkung gegenüber der Führungsebene der rechtsextremen russischen Kreise entfalten. Die Botschaft könnte einfacher kaum sein: Die zunehmend lauter werdende Kritik an den aktuellen Misserfolgen Russlands in der Ukraine ist umgehend zu mäßigen.
Sollte allerdings die russische Führung für den Anschlag nicht verantwortlich sein, gibt es aktuell ungeachtet zahlreicher offener Fragen durchaus denkwürdige Gründe, den Attentatsversuch auf Dugin durch die Nationale NRA als eine ernstzunehmende - wenn auch nicht unmittelbare - Bedrohung für den Kreml und das Machtsystem Putins wahrzunehmen. Die Hauptbedrohung besteht weniger in den potenziellen Aktivitäten der NRA, sondern vielmehr in der drohenden Entfremdung einer zum gegenwärtigen Zeitpunkt für die Stabilität des Regimes bedeutenden gesellschaftlichen Gruppe.
Denn dieses Attentat wird die Unzufriedenheit nationalistischer und rechtskonservativer Kreise mit der Arbeit russischer Behörden und der zögerlichen Politik der russischen Führung massiv und nachhaltig steigern und zu einer weiteren Radikalisierung beitragen. Einer Radikalisierung, die sich beizeiten auch gegen den Kreml selbst wenden kann. Ein deutliches Indiz für die Angst des Kreml vor einem derartigen Szenario sind die außergewöhnlich raschen Ermittlungen sowie die Auszeichnung Duginas mit Orden der Tapferkeit durch Putin.